Irene Harberding 29.02.1943 – 06.04.2024. Im kraftvoll beginnenden Frühling ist diese mutige und feine Frau weitergezogen.
Von Carola Hadamovsky
Irene Harberding, die sich schon seit vielen Jahrzehnten intensiv mit dem Tod und dem Sterben beschäftigt hatte, ist gut vorbereitet und dennoch überraschend für uns gegangen. In vollen Zügen hatte sie Ostern noch den Besuch ihrer Familie mit den Enkeln genossen – Natur, Spaziergänge, Spiele, Backen. Und noch am Tag, als ihr Sterben begann, hatte sie ihre Dinge geordnet und eine Vergebungszeremonie für das kommende Wochenende vorbereitet.
Irene – wie kann ich Dich nur mit all Deinen Facetten beschreiben?
13 reiche Jahre warst Du mit uns in Gemeinschaft. Mit Bewunderung schaue ich zurück auf Dein Ringen um Deinen Platz am Tempelhof – hartnäckig und ausdauernd – und die letzten Jahre, in denen Du mit uns so glücklich warst. Mittendrin – auf Deine feine Art mit so vielen Menschen und Lebensbereichen liebevoll verwoben. In Erinnerung bleibt mir auch die tiefe Dankbarkeit, die Du gelebt und ausgestrahlt hast: Für diesen Ort, für Deine Familie, alle Menschen, die Dir begegneten und überhaupt für das Leben.
Doch der Reihe nach.
Mit knapp 70 Jahren hast Du es gewagt, eine gut gehende Praxis und Deinen ganzen Freundeskreis in Schwäbisch Hall zurückzulassen, um das Abenteuer Gemeinschaft zu wagen. Als schlanke, große und aufrechte Frau habe ich Dich in Erinnerung – mutig und aufrichtig bist Du immer wieder auch mit schwierigen Themen im Forum in die Mitte gegangen: Altwerden in Gemeinschaft, Stolz und Demut, Einsamkeit, Empfindsamkeit und Empfindlichkeit, Traumatisierungen aus der Kindheit. Ja, und Du hattest es wahrlich nicht leicht mit uns … und wir nicht mit Dir. Deine hohe Sensibilität hat Dich so manches Mal leiden lassen und Deine Sturheit forderte so manches Mal Widerstand heraus.
Nach den Jahren großer Schmerzen mit gebrochenen Wirbeln in einer damals nicht angemessenen – wenn nicht unwürdigen – Wohnsituation, bist Du seit dem Umzug in ein wunderschönes Apartment mit Dir und uns so viel milder und weicher geworden. Es war ein Geschenk, Dich immer mehr im tiefer Ankommen und Beheimaten wahrnehmen zu dürfen. Als Gemeinschaft dürfen wir weiter üben, unsere Ältesten immer bewusster in unserer Mitte zu haben, und ihre Weisheit und Lebenserfahrung zu würdigen.
Deine therapeutische Seite kam der Gemeinschaft, Nachbarn und Gästen zugute – durch Akupunktur, Arbeit am Tonfeld, Atemtechniken, naturheilkundliche und homöopathische Mittel, Ohrmassagen, Coachings, Tapen, Ernährungsberatung, Auflösen von Glaubenssätzen, eingerenkten Gelenken, physiotherapeutischen Übungen, Heilkräutern (am liebsten selbst gepflanzt, gehegt und gepflegt wie die Artemisia), Stirnstrich uvm.
Nicht nur für neue Heilmethoden, auch für Männer hast Du ganz zart bis leidenschaftlich geschwärmt. Mit dieser Freude verbunden war auch die alte Jugendliebe, die in den letzten drei Jahre Deines Lebens wieder aufleben durfte (ein beglückender Austausch per Mail mit Hilfe von deepl) und Dir dies unvergessliche Strahlen verlieh, wenn Du von Deinem Charles in Frankreich erzähltest.
Deine ganz sinnliche Seite und Deine Freude an Schönheit wird uns hier noch lang erhalten bleiben: Du hast nicht nur Deine eigenen Räume schön gestaltet, Du hast immer auch einen liebevollen und unterstützenden Blick für die Kunst (Literatur, Theater, Plastik, Musik, Theater, Filme) hier im Dorf und in der Welt gehabt. Zwei Aspekte aus dieser Vielfalt seien hier genannt: Zum einen Deine kreative Spielfreude, die sich in den Masken ausdrückte, die Du gebaut und zu deren Bau Du Workshops angeboten hast. (Mit Schalk hast Du sie auch in Plenen eingesetzt.) Zum anderen die spirituelle Ausdrucksmöglichkeit durch Kunst: Besonders ans Herz gewachsen war Dir die Stein-Skulptur Gott ist Liebe, u.a. weil mit ihr das Wort Gott ins Dorf kam.
Deiner Liebe für die Vögel verdanken wir, dass rund um Deine Terrasse nicht nur ein quirliges Geflatter, sondern auch ein wunderbarer zwitschernder Klangteppich entstanden ist.
Ebenfalls verdanken wir Dir das Töpfern und die Töpferei. Noch bis zu den Osterferien bist Du mit großer Freude den Kindern der Primaria in der Töpferei begegnet. All die Jahre wurden die Lernbegleitenden außerdem mit Deinen feinen und liebevollen Beobachtungen der Kinder beschenkt.
Vor allem in den letzten Jahren – kleiner und krummer werdend – habe ich Dich immer lebendiger, voller Interesse und Begeisterung erlebt. Du hattest eine solche Freude an Deinen Kindern und Enkeln, an den Vögeln und Pflanzen, an der Gemeinschaft und besonders an den jungen Erwachsenen und ihren Impulsen. Mit Freude hast Du z.B. von letzteren das Wort neuliebig (statt neugierig) aufgegriffen.
Bei aller Strenge warst Du voller Humor, konntest herzlich über Dich selber lachen und hattest immer kreative Ideen, um das Beste aus einer Situation zu machen: Mit unglaublicher Disziplin hast Du trainiert. Jeden Tag bist Du mit dem Rollator gelaufen, ja die Straßen entlang gedüst – und wenn Gefahr bestand, dass Dich der Wind davontragen würde, bist Du in der Turnhalle im Kreis gelaufen oder zum „Bergsteigen“ in ein Treppenhaus gegangen.
Über viele Jahre sahen wir Dich mit immer mehr Kissen (jedes hatte ganz exakt seinen akkuraten Platz) an Kreisen, Foren, Ritualen, Feiern und Plenen teilnehmen.
Einerseits hast Du es mit Deiner Selbstdisziplin geschafft, weitestgehend selbständig zu leben, weiter am Leben im Dorf teilzuhaben und bis zum Schluss sogar noch Seminare anzubieten. Anderseits hast Du immer besser gelernt, Hilfe für Deine Seminare, den Haushalt oder die Pflege zu organisieren und anzunehmen. Einmal, als wieder ein akuter Krankheitsschub überstanden war, hattest Du mindestens 20 Menschen, die Dir auf irgendeine Weise geholfen hatten, zum gemeinsamen Kuchenessen (selbstverständlich selbstgebacken und gesund) eingeladen.
Ein großes Anliegen war Dir nicht nur Gesundheit, sondern die Heilung Deines ureigenen Wesens, Deiner Mitmenschen und der Erde. Ganz gleich, ob es praktische Tipps zu Ernährung oder Körperhaltung waren oder ob es um die tiefe spirituelle Arbeit der Vergebung ging. Wenn Du von einer neuen Heilmethode oder einem neuen Werkzeug begeistert warst, dann scheutest Du keine Kosten und Mühen, diese anzuschaffen, zu erproben und – gefragt oder ungefragt – andere davon zu überzeugen. Und immer schon warst Du damit Deiner Zeit voraus: So hast Du z.B. in Deiner Praxis bereits Beckenbodentraining für Frauen angeboten, als die meisten dieses Wort noch kaum aussprechen konnten.
Du warst ein Kriegskind. In der Reflexion mit Dir wurde dieses Genetationenthema immer wieder für uns in der Gemeinschaft greifbar. Und so warst Du dann auch ein tragender Teil des sonntäglichen Lichtkreises, den wir mit Beginn des Krieges in der Ukraine begonnen hatten.
Überall am Tempelhof – ob auf dem Acker bei der Arbeit oder im Gästebüro – hast Du Menschen durch kurze Begegnungen innehalten lassen. Ein Gruß. Ein Lächeln. Ein Küsschen. Ein paar Worte. Dankbarkeit.
„Danke, liebe Irene für Dein zartes und doch kraftvolles Wirken in der Gemeinschaft!„
Du hattest Dir gewünscht, am Tempelhof zu sterben. Die Choreographie des Lebens war nun so, dass Du Deinen Weg des Sterbens hier in Deinem Praxisraum begonnen hast und im Kreis Deiner Familie, im Krankenhaus, Deinen letzten Atemzug getan hast – während Du zeitgleich am Tempelhof in einer Zeremonie einen Ehrenplatz hattest – am Altar lag die Skulptur Gott ist Liebe. Im Sterben hast Du Deine beiden Familien verbunden.
„Mögest Du weiterhin gut Deinen Weg gehen!„
*Letzte Strophe des Gedichts „Von guten Mächten treu und still umgeben“ von Dietrich Bonhoeffer. Irenes Liedwunsch für ihre Trauerfeier.