Einblicke in unseren Umgang mit der Energiekrise
Auch bei uns hat der Energiepreisschock heilsam eingeschlagen. Nachdem im Herbst plötzlich eine Nebenkostensteigerung von 100.000€ für die Gemeinschaft im Raum stand, haben wir uns in mehreren Krisentreffen zusammengesetzt und überlegt, wie wir darauf reagieren wollen. Eine Energietaskforce wurde ins Leben gerufen und hat sich mutig und unbedarft auf die Suche nach Einsparpotentialen gemacht: Rasch wurde als erste leichte Beute der Kühlschrank des Grauens entdeckt, der völlig wiedersinnig an der Getränketheke in einem rund rum geschlossenen Schrank versuchte – gegen seine eigene Abwärme ankämpfend – einen Liter Milch zu kühlen und dabei den Zehnfachen Energieverbrauch produzierte wie sein fünfmal so großer Kollege im selben Raum. In einer Nacht – und Nebelaktion wurde er ganz undemokratisch aus dem Verkehr gezogen und jetzt laufen die Milchtrinker klaglos die paar Meter zum energieeffizienten Großkühlschrank.
Andere Potentiale zum optimaleren Nutzen von Energie haben wir leider nicht so schnell und befriedigend umsetzen können. Manches, weil es erst einmal viel Geld kostet, wie z.B. die Sanierung unserer altersschwachen Kühlhäuser; Anderes, wie z.B. die Reduzierung der 55 privaten Kühlschränke, weil es einen drastischen Einschnitt in die bisherigen Lebensgewohnheiten bedeuten würde.
Gut gelungen ist es uns dabei bisher, die Abgründe und Stolperfallen des Energieneids bzw. Bashing zu umschiffen, denn in der Debatte „ich schalte das Licht ständig aus und du fliegst zum Spass nach Malle“, liegt eine nicht zu unterschätzende soziale Sprengkraft (schade, dass wir daraus noch keine Energie gewinnen können) und der Schmerz der Einen über die Ignoranz der Anderen hat durchaus das Potential, Menschen aus der Gemeinschaft zu vertreiben, womit aber für beide Seiten – und vor allem für einen Wandel – nicht wirklich etwas gewonnen wäre.
Insofern war eine der Hauptaufgaben der Energietaskforce, die Freude am Wandel zu steigern und so zu einer positiven Binnenklimabilanz beizutragen (wenn auch zunächst vor allem auf emotionaler Ebene). Zugegeben eine nicht ganz einfache Aufgabe. Wir haben dazu verschieden Wege beschritten. Hier kommen zwei Beispiele:
Als erstes haben wir versucht, mit verschiedenen Grafiken unseren Verbrauch zu visualisieren:
Dies war der mehr optische Ansatz. Natürlich haben wir in unserem Carsharing-Fuhrpark keinen Firmenjet, aber das Beispiel veranschaulicht sehr schön, wie sich alles verschiebt, wenn wir die Perspektive weiten und unser Verhalten ausserhalb der Gemeinschaft in die Bilanz mit einbeziehen.
Ein weitere Ansatz war über sogenannte Energiemails. In denen haben wir versucht, verschiedene Energie-Themen verständlich aufzubereiten und so Bewusstsein zu schaffen. Hier ein Beispiel:
Liebe Dorfmenschen,
heute nix zum Wetter. Hochnebel erspart mir jeden Kommentar zu Solarstrom betriebenen Waschmaschinen. Es ist zwar nicht so, dass unsere Solaranlage bei so einem Wetter nix machen würde, aber der Ertrag ist mit 35 kWh am Tag (gestern) und unserem momentanen Verbrauch von 40 kW pro Stunde in der Mittagszeit, nicht wirklich relevant, da wir nix ins Netz einspeisen und also auch nix mit Waschmaschinen optimieren könnten.
Relevant dagegen ist die Nutzung der Thermostate im Dorfhaus: Wenn ihr strategisch denkende Menschen seid, macht es total Sinn 3 Stunden bevor ihr eine Besprechung im kuschelig warmen Essraum haben wollt, den Regler von 19° (hat die Taskforce mal so eingestellt in Absprache mit Vertretern vom Küchenteam) auf 22° hochzudrehen. Solange (3 Stunden!) braucht das träge System einer Fussbodenheizung nämlich, um zu reagieren. Wenn eure Sitzung dann genau zwei Stunden dauert, könnt ihr den Regler gleich zu Beginn wieder auf 19° stellen, denn solange braucht es, bis sie wieder runter gefahren ist. „Ja aber“, sagt ihr nun, „dann habe ich ja in meiner Sitzung ständig sinkende Temperaturen“ (von 22° abfallend auf 19°). Das stimmt nur bedingt, denn wenn ihr mit 10 Menschen im Raum sitzt, gebt ihr so viel Wärme ab, dass die Temperatur vermutlich trotzdem konstant bleiben wird (ca. 0,1 kW pro Stunde und Mensch). Wir haben nachgemessen: Nach dem Mittagessen mit ca. 30 Menschen im Raum war die Temperatur sogar von 19° auf 20° gestiegen.
Fazit: bei zu erwartenden hitzigen Themen bitte 3 Stunden vorher den Thermostat runter regeln, oder eben einfach alles so lassen, wie es eingestellt ist. Das spart langfristig am meisten Energie.
Herzliche Grüße,
Euer Energieteam
Einige Illusionen konnten ausgeräumt werden: Z.B. machen Sparduschköpfe bei 150 Menschen tatsächlich einen beträchtlichen Unterschied (mehrere tausend Euro im Jahr) und es spielt durchaus eine Rolle, ob wir unsere Rechner abends vom Netz trennen, oder im Stand by laufen lassen. Ernüchternd war die Erkenntnis, dass Strom nur etwa 25% unseres Gesamtenergie-Verbrauchs ausmacht. Der weitaus größte Teil entfällt auf die Wärme. Gut wiederum, das wir uns dazu seit fast zwei Jahren viele Gedanken gemacht haben und noch dieses Frühjahr endgültig entscheiden wollen, ob wir eine solarthermische Großanlage mit Saisonspeicher bauen werden, mit der wir dann bis zu 80% unseres Wärmebedarfs ganzjährig mit Sonnenenergie decken können.
Nach dem sich der erste Schock über die hohen Energiepreise etwas gelegt hatte, haben wir einen Realitätscheck zu unserem Stand in Sachen nachhaltige Energienutzung gemacht. Der fiel eher ernüchternd aus, oder anders gesprochen: Wir haben noch viel Potential, da ganz offensichtlich das Thema bei uns die letzten zwölf Jahre nicht sehr hoch auf der Agenda stand. Hier mußten wir uns eingestehen, dass wir oftmals eher den kurzfristigen wirtschaftlichen Aspekt im Fokus hatten. Vermutlich stehen wir mit diesem Thema nicht allein da, sind – wie viele Menschen – in den alltäglichen Entscheidungen oft damit überfordert und lernen erst langsam, aus dem von Kostenzwängen bestimmten kurzfristigen Denken auszusteigen und den Blick für die großen Zyklen und Perspektiven zu weiten. Hier braucht es offensichtlich die Entwicklung einer anderen Art zu Planen und zu Bauen!
Eine der spannenden Fragen eines solchen Perspektivenwechsels wird sein, wie sich solche zukunftsfähigen Bauten und Technologien heute finanzieren lassen: Sind wir bereit, jetzt mehr Geld auszugeben, ohne einen direkten persönlichen Nutzen, damit dann unsere Kinder eine günstigere Umgebung vorfinden? Und was, wenn in der Zwischenzeit eine neue Technologie entwickelt wird, die unsere Investition dann als Fehlgriff erscheinen lässt? Braucht es da z.B. einen neuen Generationenvertrag, eine Art Energierente für uns, damit wir die Breitschaft haben, in eine lebenswerte Zukunft zu investieren?
Damit wären wir wieder bei einem sehr persönlichen Ansatzpunkt: Es braucht den Bewusstseinswandel in jedem einzelnen von uns. Sind wir bereit heute mehr zu tun, damit das Morgen sich in Richtung unserer tiefsten Sehnsucht entwickeln kann?
Wie sieht bei jedem einzelnen dieses Mehr aus? Und wie schaffe ich es, nicht in Frustration zu versinken, wenn Menschen in unserer Gemeinschaft einen ganz anderen Fokus haben?
Denn eines ist in dieser Krise offensichtlich: wir können uns wunderbar das Leben zur (Öko-Moral-)Hölle machen, indem wir uns gegenseitig vorschreiben, was richtig und falsch ist. Damit wäre nicht viel gewonnen, denn auch ein vergiftetes soziales Klima hat mit Sicherheit Auswirkungen weit über unseren persönlichen Frustrationshorizont hinaus.
Der Preisschock durch den Ukrainekrieg hat das Thema zukunftsfähige Energielösungen für den Tempelhof jedenfalls erneut in den Fokus gerückt. Wir brauchen dringend einen langfristigen Plan, der Stromproduktion, Nutzung und Speicherung, sowie Wärmegewinnung und Speicherung mit Wohn- und Gewerbebauten, Mobilität, Wasserkreisläufen und Landwirtschaft zusammen denkt und dabei im besten Fall noch das sich verändernde Klima vor Ort und mögliche Technologiesprünge berücksichtigt. Und eben auch unseren möglichen Bewusstseinswandel in Form von sich änderndem Nutzungsverhalten.
(Ben Hadamovsky)
P.S.: Wenn du Lust bekommen hast unsere Gemeinschaft als Ingenieurin, Installateur, oder PV- und Solarthermie-Experte bei dieser Aufgabe zu unterstützen, freuen wir uns sehr auf deine Impulsbewerbung.