Positive Nebenwirkungen des Corona-Lockdowns
Wie Corona als Nebenwirkung zu einer neuen Ausbildungsinitiative in Handwerk – und Unternehmertum am Tempelhof geführt hat.
Von Ben Hadamovsky
Was für ein Angebot können wir den durch Corona am Platz festsitzenden jungen Menschen machen, damit sie sich im Geist der freien Schule eigenverantwortlich, selbstbestimmt und aus sich selbst heraus lernend einbringen? Diese Frage – und die bei uns im Dorf ständig spürbare Wohnraumknappheit – inspirierte Wolfgang Sechser und mich mit der Idee, den jungen Erwachsenen einen Ort und Geld zur Verfügung zu stellen, verbunden mit der Aufgabe, für einen Jugendtreffpunkt und auch für Krisen bedingten temporären Wohnraum einige mobile Wohncontainer zu entwickeln und zu bauen. Dies war angelehnt an das ehemalige Morphos-Experiment, bei dem vor Jahren junge Menschen einen Etat vom Tempelhof erhielten, um selbstorganisiert ein Sanierungsprojekt durchzuführen.
Diese Idee traf auf großes Interesse unter den jungen Menschen vom Tempelhof und aus der näheren Region.
Große Träume wurden geträumt: Eine eigene freie Handwerkerausbildung könnte daraus entstehen. Dazu eine freie Unternehmerausbildung. Das gerade entstehende Werkhaus mit integrierter Montagewerkstatt für die am Tempelhof ansässige Wohnwagenbaufirma MoWo wurde umgeplant, sodass in einer großen temperierten Halle sowohl MoWo als auch die Ausbildungsinitiative der jungen Leute Platz finden können.
Heute, 15 Monate nach Start der Idee, blicke ich mit Freude aus meinem Arbeitszimmerfenster auf die stetig wachsende Baustelle von Werkhaus und Montagehalle.
Die JuBas, wie sich die jungen Menschen nennen, bauen gerade ihren ersten Prototypen eines Tiny-Houses in einer Scheune im Nachbardorf. Ein zweites Exemplar ist in Vorbereitung.
Die konkrete Umsetzung ermöglicht ihnen vielfältige Erfahrungen: Das Dach wird mit Holzschindeln gedeckt, nach dem wir zuvor einen Schindelmacher besucht hatten, um von ihm nicht nur das fachgerechte Verlegen, sondern auch die Herstellung von Holzschindeln zu lernen. Ein weiterer Workshop zu Lehmbauten brachte die Gruppe in Kontakt mit einem Professor der TH Stuttgart, woraus ein schöner Kontakt und der Besuch seiner Vorlesungen zum Thema Bauen mit Lehm entstanden. Besonders spannend wird es nun mit der Fassade, die wir mit der japanischen Yakisugi-Abbrandtechnik auf natürliche Weise und ganz ohne Holzschutzmittel besonders langlebig und wetterfest machen wollen.
Neben diesen handwerklichen Erfahrungsfeldern fasziniert mich immer wieder, welche anderen intensiven Lernschritte unser Projekt den Jungen Menschen bietet: Durch die Gründung ihrer eigenen GbR für die Abwicklung der Bauprojekte lernen sie, neben Buchhaltung, Versicherungsfragen, Kundenverträgen, Rechtsfragen und dem Umgang mit Steuer und Finanzamt auch den fairen Umgang mit Geld untereinander: Ist die Arbeit auf der Baustelle mehr wert als z.B. Planung, Bestellung oder Lohnbuchhaltung? Wie verteilen wir den Gewinn? Was passiert, wenn wir Verluste machen? Welchen Stundenlohn bekommen wir, wenn wir wirklich alle Zeit, die wir als UnternehmerInnen eingesetzt haben, in die Rechnung mit einbeziehen?
Parallel ist ein Teil der Gruppe mit einem sehr ambitionierten Planungsprozess für ein experimentelles, energieautarkes Gebäude für das „Tamie h“ Projekt in Crailsheim beschäftigt. Auch hier eröffnen sich unverhofft großartige Chancen: Über vier Monate durften sie sich intensiv mit dem derzeitigen Stand für ökologisches Bauen beschäftigen. Mehrere Forschungsreisen zu Pionierplätzen und Menschen des ökologischen Bauens ergänzten das theoretische Studium, und ein schöner gemeinsamer Prozess mit den AuftraggeberInnen führte zu ersten konkreten Entwürfen und Modellen. Um diese Ideen jetzt in einen einreichungsfähigen Entwurf für das Bauamt zu überführen, konnte ein Planer gewonnen werden, der die jungen Menschen nun mit großer Begeisterung für ihren ungewöhnlichen Lernweg auf diesem letzten Schritt unterstützen wird. Für zwei Wochen werden drei von ihnen in seinem Büro die Pläne erstellen und nebenbei den Umgang mit CAD-Zeichenprogrammen lernen.
So führt ihr Lernweg in nur einem Jahr durch alle grundlegenden Bereiche des Bauens: von der Idee, über die Firmengründung, die Planerstellung, die Material- und Verfahrenskunde bis zur konkreten praktischen Umsetzung.
Natürlich sind sie jetzt keine fertigen Zimmerleute, Elektriker, Schlosser, Architekten oder Buchhalter. Aber sie haben einen tiefen, erfahrungsgetränkten Einblick in die vielfältigen Berufe rund um den Bau gewonnen. Ganz nebenbei wurden entscheidende praktische Erfahrungen in Selbständigkeit und Unternehmertum gesammelt. Ich denke, dass es in einer sich zusehends spezialisierenden Welt dringend Menschen braucht, die den Blick für das Ganze üben und lernen, und nicht nur ihr Spezialgebiet im Fokus zu haben. Wenn wir sie dabei noch ermutigen können, neugierig ihren ganz eigenen Lernweg zu verfolgen, öffnen sich Möglichkeiten für Zukunftsberufe, die heute noch unvorstellbar sind.
All diese Erfahrungen wurden durch zahlreiche Menschen ermöglicht, die großzügig ihr Fachwissen und ihre Erfahrungen mit den jungen Menschen geteilt haben. Ganz herzlichen Dank dafür an dieser Stelle. Ebenso möchten wir der Gemeinschaft Tempelhof und den zahlreichen Spendern für Werkzeug und Finanzierung der Werkhalle, sowie der grund-stiftung und dem Tamie h – Projekt von Herzen für ihr Vertrauen und ihre finanzielle Unterstützung danken.
Wie können wir dieses gelungene Experiment für weitere junge Menschen öffnen und zukünftig weiterführen? Daran arbeiten wir gerade mit Hochdruck und Freude.