In unseren letzten Rundbriefen hatten wir immer wieder von unseren Aktivitäten berichtet, von den Herausforderungen, die die Pandemiepolitik an uns stellt und an denen wir uns im Inneren entwickeln, aber schon lange nicht mehr von den Menschen, die die Gemeinschaft ausmachen.
Gemeinschaft- das Gefühl des WIR – Verbundenheit – ist nichts, was festgehalten werden kann, so wenig wie die Liebe in einer Paarbeziehung. Wir Menschen und unsere Beziehungen untereinander sind im Wandel, die individuelle Öffnung ins WIR will ständig neu „errungen“ werden. Das hält uns nolens volens wach – und lebendig. Kommen neue Menschen dazu oder verlassen welche die Gemeinschaft, ist es immer wieder ein sich neu aufeinander einstellen, sich neu austarieren im Gemeinschaftsfeld.
Dieses Jahr war ein besonderes Jahr.
Unsere Gemeinschaft hat sich verjüngt. 11 Erwachsene im mittleren Alter und 6 Kinder sind neu dazugekommen.
Für Kinder ist es – sind die zurückgelassenen Freundschaften erst einmal verdaut – meist recht einfach, sich am Tempelhof einzuleben. Dazu schreibt Susanne, die mit ihren Töchtern Laura (11) und Emma (8) im Sommer zu uns gezogen ist:
„Zur Zeit der großen Tomatenernte fand unser Umzug an den Tempelhof statt. Und so reich und voll wie das Gemüselager war, so waren auch die ersten Wochen unseres Ankommens. Was gab es nicht alles zu entdecken. Für die Kinder fühlte es sich wohl an, als ob ihr Leben nun auf einen riesigen Abenteuerspielplatz verlagert worden wäre. Neue Plätze, neue Menschen, neue Gepflogenheiten, jedenfalls ziemlich aufregend. Die ersten Tage in der neuen Schule brachten dann einen Hauch von Alltag und auch wieder einen notwendigen Rhythmus. Was wir sehr genießen ist, dass Leben und Arbeiten nun für alle am gleichen Platz stattfindet. Dass man zum Besuch von Freunden nicht erst fahren muss und dass man die Hühner kennt, welche die Eier für die geliebten Pfannkuchen legen. Und so spannend diese ersten Wochen auch waren, so wurde uns auch deutlich, dass es Zeit braucht, um anzukommen. Dass manches noch unentdeckt ist. Und so herrlich lange Abende in der Turnhalle, vor allem für die Kinder sind, so notwendig sind auch Pausen, um diese ganzen Eindrücke verarbeiten zu können. Klar ist aber: so schnell wird es nicht langweilig. Und wenn doch, dann kommt mit Sicherheit eine unerwartete Möglichkeit etwas auszuprobieren, ein schönes Gespräch, eine Einladung zum Spielen oder einfach nur mal Zeit, in den weiten Himmel zu schauen.“
Es braucht Zeit, anzukommen. Und Geduld.
Bis Erwachsene, die Gemeinschaft mitgestalten wollen, sich in der gewachsenen Kultur und den Beziehungsgeflechten auskennen, einen Platz des Wirkens finden und einnehmen und mit eigenen Impulsen wirksam werden, mit ungewohnt vielen „Spiegeln“ von außen (und Tempelhofer sind manchmal sehr direkt) zurecht kommen, die dadurch ausgelösten inneren Prozesse durchleben, aus der Fülle der Möglichkeiten und Herausforderungen das erträgliche und zu den eigenen Impulsen passende Maß herausfiltern, das dauert. Da bleiben dann auch mal romantische Vorstellungen von Gemeinschaft auf der Strecke, das Selbstbild erhält Risse und es entstehen Öffnungen, die noch unentdeckte, ungelebte Potentiale zum Vorschein bringen.
Manchmal geht etwas aber auch ganz schnell. Mit unseren neuen MitbewohnerInnen hat dieses Jahr ein neuer Kulturimpuls Fuß gefasst: Eine Kneipengruppe ist entstanden und regelmäßige Treffen zum Spielen im Café finden. Schnell? Na ja – eigentlich waren Entschleunigung, Pausen haben, mehr Leichtigkeit und Spaß ein Anliegen seit den Anfängen der Gemeinschaft – aber erst jetzt sind wohl die Richtigen gekommen, die dem Impuls des mehr Spielerischen in der Tempelhofwelt wirklich zum Leben verholfen haben.
Zusammenwachsen
Es ist kein einseitiges Geschehen, wenn neue Menschen in die Gemeinschaft kommen. Von uns älteren Hasen braucht es immer wieder die Bereitschaft zur Öffnung: Sich einlassen auf Menschen, die ich noch nicht wirklich kenne und die möglicherweise auch wieder neue Triggerpunkte in mir berühren. Sich einlassen auf neue Gestaltungsimpulse. Preisgeben von Gewachsenem, damit Neues einen Platz findet. Immer wieder zurückfinden in den Anfängergeist, wo wir doch in so vielem schon Experten geworden sind. Achtsame Empathie für die Situation eines Menschen in der sog. „Annäherungszeit“, der auf der Gratwanderung zwischen Authentisch- Sein und Ankommen-Wollen seinen Weg sucht.
Abschied nehmen
Zwei Männer, die unsere Gemeinschaft sehr mitgeprägt haben, sind in den letzten Monaten gestorben.
Der eine ist Harald Wutte (im Foto rechts). Es war sein Herzensanliegen, der Gemeinschaft die bestmögliche Rechtsform zu geben. Für Ihn war die Dreigliederung der Leitstern – ein von Rudolf Steiner entwickeltes gesellschaftliches Ordnungsprinzip von Freiheit im Geistesleben, Gleichheit im Rechtsleben und Geschwisterlichkeit im Wirtschaftleben.
Ihm haben wir unsere Rechtsstruktur mit den drei Elementen Stiftung, Genossenschaft und Verein zu verdanken, ein geniales Konstrukt, wie die Praxis bis heute zeigt. Als Steuerberater und versierter Kenner von rechtlichen Strukturen war er schon vor der Gründung und vor dem Kauf des Tempelhofs ein wichtiger Impuls- und Ratgeber. Auch die steuerlichen Grundlagen – ein oft unterschätzter Bereich bei Neugründungen – bestehen bis heute weiter.
Seine Stimme als älterer Mann mit viel Lebenserfahrung wurde auch bei allen anderen Entscheidungen gehört. Er war ein lebensfroher und sinnlicher Mann, der aber immer wieder auch mit tiefen inneren Zweifeln gerungen hat und daraus kein Hehl machte. Harald war aus gesundheitlichen Gründen schon vor einigen Jahren mit seiner Frau auf eine der kanarischen Insel umgezogen.
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Im Herbst ist dann Thomas Waldhubel gestorben (im Foto links). Er war bis zuletzt sehr präsent in der Gemeinschaft. Lest im Nachruf, was er uns bedeutet hat.
MarieLuise Stiefel