In unserer Herbstintensivzeit ging es um das Thema Ökologie. Viel Nachdenklichkeit, selten ein erhobener Zeigefinger, Schauen auf unser praktisches Tun. Entwickeln wir uns weiter trotz oder gerade mit Perspektiven, die unsere Verstandesgrenzen fast sprengen?
Vielen von uns schwant, dass es sich in den kommenden Jahren nicht nur um das verändernde Klima drehen wird. Unser ganzer Lebensstil, die moderne Industriegesellschaft steht in Frage. Also das ganze „System“ an sich.
Was wir uns bewusst machen sollten: Das System ist nicht da draußen! Wir sind das System. Ich bin das System und du bist das System, zumindest ein Teil davon. Es ist eben auch in uns. Das zu erkennen, führt direkt zum Thema von Selbstermächtigung und Selbstverantwortung.
Wir wissen heute, dass hochkomplexe Systeme nicht gesteuert oder kontrolliert werden können. Die Idee einer linearen Kontrolle, in dem Sinne, wenn ich an dieser Schraube drehe, bekomme ich jenen erwünschten Effekt, funktioniert nicht. Und sie hat auch noch nie funktioniert.
Es geht um Transformation
Es geht auch nicht um Umsteuern, es geht um einen tiefgreifenden Bewusstseinswandel, um Transformation. Diese kann stattfinden, wenn tiefe Wahrnehmungs- und Beziehungsmuster verändert werden. Also die Art und Weise, wie die einzelnen Teile des Ganzen miteinander verbunden oder nicht verbunden sind. Das spannende ist, das gilt im physikalischen wie im zwischenmenschlichen Feld.
Auch daran wollen wir am Tempelhof arbeiten. Wir setzen nicht nur konkrete ökologische Projekte um. Wir erforschen auch unsere Bewusstseinsmuster und wie wir das Eis in unseren Herzen schmelzen können. Denn vermutlich gibt es da einen Zusammenhang.
Wir beobachten zu oft, dass es nicht genügt, ausreichend seriöse Fakten zu liefern, um eine Änderung zu erzeugen. Die Annahme bisher war: Wenn etwas wissenschaftlich und ökonomisch gut begründet ist, wird die Politik dementsprechend vernünftig handeln. Spätestens seit Rio 1992 weiß die Weltgemeinschaft, dass ein koordiniertes globales Handeln notwendig ist. Es passiert aber nicht. Das gilt in unserem privaten Leben genauso. Wie viele von uns rauchen, bewegen sich zu wenig oder ernähren sich ungesund. Wider besseres Wissen.
Warum ist das so? Warum gibt es diese klaffende Lücke zwischen Wissen und Handeln? Gibt es da einen Elefanten im Raum, der alles dominiert, aber nicht wahrgenommen wird. Genau diesen Themen widmet sich das diesjährige „Symposium Zukunftswerkstatt – Anders Teil-Haben“
…und um Heilung
Seit zwei Jahren beschäftigen wir uns am Tempelhof mit dem Phänomen Trauma und zwar nicht nur individuelles Trauma, sondern kollektives Trauma. Von kollektivem Trauma spricht man, wenn die meisten oder zumindest viele Personen innerhalb einer Gesellschaft betroffen sind. Klassischerweise verursacht durch Genozide, Kriege, Hungersnöte oder Naturkatastrophen. Es ist intuitiv plausibel, dass es Ereignisse gibt, die als »kollektive Traumata« wirken. Vielleicht gibt es bestimmte menschheitliche Traumata seit Jahrtausenden, die zur Unverbundenheit unter den Menschen, zur Erde, zu den Tieren und Pflanzen beitragen.
In einem persönlichen traumatisierten Bereich ist es einem Menschen nur schwer möglich, vernünftig und rasch zu handeln. Dies gilt dann umso mehr für uns bei kollektiven Traumata. Vor allem, wenn wir uns derer völlig unbewusst sind. Also müssen wir uns nicht wundern, wenn gesellschaftliche Transformation oft so zäh erscheint. Wie gehen wir nun damit um? Die Antwort auf kollektive Traumata muss eine kollektive Antwort sein. Wir werden sichere kollektive Räume der Stille und der Zeugenschaft (Witnessing) brauchen, in denen Heilung stattfinden kann. Wir ahnen, dass dies eine riesige Aufgabe für uns als Menschheit sein wird. Aber auch wir wollen damit beginnen und gehen die ersten kleinen Schritte.
Roman Huber