Für einander da sein – zwischen Berührbarkeit und struktureller Lösung

Subjektive Sichten und vorläufige Einsichten aus dem Reallabor Tempelhof

Teil 1

Vor ein paar Wochen schrieb ich an einige Nicht-Tempelhofer Freunde: „Ich habe mich wie neu verliebt in meine Gemeinschaft“. Der Grund dafür war mein Eingebundensein in das Geschehen um Werners Krankheit, Sterben, Abschied gestalten (Werner Ratering, s. Nachruf auf unserer Homepage).

Das habe ich nicht gesucht, es hat sich so gefügt. Ich habe in dieser Zeit ein Getragensein durch die ganze Gemeinschaft gespürt, ein sich fast selbst organisierendes müheloses Unterstützen, vom Hühnersuppekochen bis zum Geldspenden für die Besuchskosten, die Werners Betreuung im Kasseler Krankenhaus verursacht haben. Ich wusste, immer brennt am Tempelhof eine Kerze für Werner und es gibt Menschen, die ihn und uns auch im Geist und Herzen begleiten. Im kleineren Kreis der unmittelbar Beteiligten erlebte ich ein „Miteinander-im-Fluss-sein“, aus dem sich das, was zu tun war, wie von selbst ergeben hat und Hilfe immer zur Stelle war, wenn sie gebraucht wurde.

Diese drei Monate waren für mich wie ein Ernten der Früchte unserer „Investitionen“ in die Gemeinschaftsbildung – WIR-Prozesse, Sozialforen, Intensivzeiten. Dies sind die Räume, in denen wir mehr und mehr lernen, uns authentisch zu begegnen und den „Mulmhaufen“, wie Martin Buber den „uralten Wust“ nennt, der „zwischen Mensch und Mensch angehäuft ist“, aufzuräumen.

Aufgeräumt an einem Sterbeprozess teilhaben – etwas Lebendigeres und Intensiveres habe ich noch nicht erlebt. So will ich das auch einmal haben. Und einen besseren Ort für die innere Räumarbeit als meine Gemeinschaft kann ich mir gerade nicht vorstellen.

Für einander sorgen

„Für Einander sorgen“ ist uns am Tempelhof von Anfang an ein Anliegen. Immer wieder versuchen wir, dem einen strukturellen Rahmen zu geben, tun uns bisher aber schwer damit, ein verlässliches Hilfesystem zu schaffen. Dennoch: Füreinander sorgen geschieht in vielfältiger Weise ständig. Viele, viele Stunden sind – wie selbstverständlich – in persönliche Begleitung und Unterstützung von WeggefährtInnen in der Gemeinschaft geflossen. Ob persönliche Umbruchkrisen oder allgemeiner Tempelhofblues, ob Beziehungsstörungen zwischen Partnern, Eltern und Kindern, ob existenzielle Ereignisse wie Krankheit, Geburt oder jetzt zum ersten Mal auch Sterben – immer finden sich in meiner Beobachtung wie von selbst Menschen, die jemandem zur Seite stehen.

Vorausgesetzt und wichtig: Unterstützung wird persönlich zugelassen. Irene, die im letzten Jahr lange Zeit krank und auf Unterstützung angewiesen war, berichtete mir eben, dass sie auf 30 Menschen kommt, die ihr in irgendeiner Form zur Seite gestanden sind.

Wenn ich die 7 Jahre Revue passieren lasse, komme ich auf einige hunderttausend Euros, die wir TempelhoferInnen untereinander verschenkt haben!

Beispiele sind die Finanzierung eines 1-jährigen Grundeinkommens, um Menschen nach intensivem Einsatz für die Gemeinschaft Zeit für eine Neuorientierung zu ermöglichen. Oder die Finanzierung der Aufnahmekosten, wenn jemand sie selbst nicht aufbringen konnte. Auch bei längeren Krankheitszeiten, finanziellen Engpässen, Seminaren oder anderen Herzenswünschen bis hin zum Beachvolleyballplatz –  immer wieder kommen Gelder zusammen.

Teilweise erfolgten diese Zuwendungen aufgrund eines Impulses aus der Gemeinschaft heraus, teilweise aufgrund einer vorangegangenen Bitte von Jemanden, der persönlich in einer finanziellen Enge steckte, teilweise spontan, weil sich eine Not zeigte. Wir hatten mehrfach die Situation, zuletzt in unserer Intensivzeit Anfang des Jahres, dass Jemand von seiner finanziellen Not spricht, eine andere Person fragt, „Wieviel brauchst du denn?“ und in weniger als drei Minuten waren die Not wendenden 1500 Euro zusammen. Wer diese Form von Gruppenspontaneität zum ersten Mal miterlebt, vergisst das nicht so schnell.

Es gab auch Erlebnisse im Miteinander, wo Einzelne hinterher sagten, so eine Erfahrung möchten sie nicht noch mal machen. Manchmal hat direktes Schenken größerer Beträge in einer 1:1-Beziehung auch in die Trennung geführt statt Verbundenheit zu stärken. Und nicht jede Bitte führt zu der gewünschten Antwort.

Für einander da sein – das ist ein zartes Geschehen. In dieses feine Verbindungsgewebe hineinzuwachsen, ist unser gemeinsamer Entwicklungsweg. Mehr davon in Teil 2 im kommenden Newsletter.

MarieLuise Stiefel

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