Im vergangenen Jahr hat Simone Specht den Dokumentarfilm „Ahnenfrieden“ gemacht. Ein Film über das Thema Kriegskinder- und enkel, über Begegnung, Frieden, und vom Gespräch zwischen Generationen. Sie lebt seit mehreren Jahren am Tempelhof. Im folgenden schreibt sie darüber, wie sie es erlebt hat, sich mit diesem Thema im Kontext von ihrem Leben in Gemeinschaft zu beschäftigen.
Im Mai 2016 ist die Idee für das Filmprojekt „Ahnenfrieden“ entstanden. In den ersten Wochen war ich vor allem mit Literaturrecherche zum Thema Kriegskinder und -enkel beschäftigt. Gleichzeitig wollte ich nicht nur über das Thema lesen, sondern mich mit so vielen Menschen wie möglich darüber austauschen. In dieser Zeit wurde mir wieder einer der Schätze in Gemeinschaft bewusst: meinen Alltag mit Menschen aus allen Generationen zu teilen, und in Selbstverständlichkeit im Gespräch zu sein mit Menschen, die 20 Jahre jünger oder älter sind als ich.
So hatte ich ein breites Feld an Menschen, mit denen ich mich darüber austauschen konnte, was mich bzgl. unserer Kriegsvergangenheit bewegte; konnte erfahren, was beim Anderen zu diesem Thema an Gedanken, Gefühlen und Fragen da war. Ich konnte kritische und persönliche Fragen stellen. Ich habe von Menschen aus allen Generationen sehr offene Antworten bekommen – von Menschen die selbst zur Kriegskindergeneration gehören, von in der Nachkriegszeit Geborenen, von der Kriegsenkel- und noch jüngeren Generationen.
Ich hörte Ausschnitte von Biografien.
Eine Frau aus der Generation der Kriegskinder erzählte mir von den Bombenalarmen, der Angst, dem Mangel. Und von dem Schweigen über das Geschehene in den Jahrzehnten danach.
In einem Gespräch – spontan beim Frühstück entstanden – erzählte jeder davon, was seine Vorfahren während des Kriegs erlebt hatten. Einer teilte, dass seine Mutter als Jugendliche vertrieben wurde, am Ende des Krieges, von russischen Soldaten. Von der Gewalt, die sie erlebt hat. Dass er ihren Erzählungen nach fast sicher sei, dass sie dabei auch sexuelle Gewalt erlebt habe. Dass sie sich als junge Frau das Leben nehmen wollte.
An anderer Stelle erzählt eine Frau davon, dass sie jüdische Wurzeln hat und ihre Großmutter in Auschwitz war.
Als Zuhörende war ich viel weniger Recherchierende, als ganz persönlich Hörende, Bezeugende, Anteil nehmende.
Obwohl ich viele der Menschen, mit denen ich am Tempelhof im Gespräch über das Thema war, gut kannte, habe ich in den Gesprächen Neues über sie erfahren. Ich wurde daran erinnert, dass es immer wieder Anteile im Anderen gibt, die für mich im Alltag im Verborgenen liegen, und diese Teile manchmal lebensprägend waren. Immer wieder habe ich in den Gesprächen die Erfahrung gemacht, wie ich einen Mensch im Kontext seiner Geschichte wieder neu sehen kann. Wie mir das Teilen von Biografischem zur Kriegsvergangenheit ein zusätzliches Verstehen von einem Menschen ermöglicht..
Dass diese offenen und nahen Gespräch möglich waren, war für mich selbstverständlich. Durch gemeinsame Sozialräume und Intensivzeiten kannten wir uns am Tempelhof in Freude, Trauer, Wut … und haben bereits so vieles von uns geteilt. Es war eine Basis für mich, die es mir und anderen leicht machte, über die Kriegsvergangenenheit und die persönliche Geschichte darin zu sprechen.
Nach all den Gesprächen und mit Blick auf unseren Alltag und unser Bewegen, wie wir Zukunft gestalten möchten, hat der Austausch und das Thema für mich noch etwas weiteres wachgerufen: das Bewusstwerden darüber, wie sehr jede Generation auch als „Kind seiner Zeit“ geprägt ist – von ihren Möglichkeiten, ihren Ängsten, ihren Begrenzungen, ihren Erfahrungen.
Dass wir, wenn wir (Zukunfts-) fragen bewegen, aus ganz unterschiedlichen, mehr oder weniger starken Prägungen kommen, wovon die Kriegserfahrung eine wesentliche darstellen kann. Es verlangt Übung und es braucht Geduld, sie in den Momenten, in denen wir uns für etwas Neues öffnen möchten, anerkennen zu können, ohne ihr die Macht zu geben, unser Erleben, Handeln und Entscheiden ganz einzunehmen.
Filmtipp
AHNENFRIEDEN
DVD 38 Minuten
plus Bonusmaterial „Nachklang“ (8min) mit den Protagonisten nach der Reise
2017 Simone Specht
www.ahnenfrieden.wordpress.com