Ein Interview über Möglichkeiten des Wandels mit Wolfgang Sechser, Stiftungsratsvorsitzender der „grund-stiftung am Schloss Tempelhof“, die gesellschaftliche und persönliche Transformation unterstützen will.
Seit Jahrzehnten arbeiten Menschen an der Frage, wie gesellschaftlicher Wandel stattfinden kann. Keine leichte Aufgabe angesichts des komplexen Umfangs, den Transformation in bestehenden Gesellschaften mit sich bringt. Doch immer mehr Menschen nehmen inzwischen wahr: Es gibt kein Ausweichen, wir brauchen einen Wandel unserer Wirtschaftsweise, unserer gesellschaftlichen Organisationsformen und unserer kulturellen Narrative. Dabei müssen wir uns nicht nur dem äußeren Wandel, sondern auch dem inneren Wandel wahrhaftig, ehrlich und radikal annehmen, damit auch unsere Enkel eine Welt unter gleichen, freien und nachhaltigen Bedingungen vorfinden.
Am Tempelhof sind wir seit fünf Jahren auf der Suche nach einer zukunftsfähigen Lebenskultur, nach gemeinschaftlich orientierten, ökologisch nachhaltigen, sozial gerechten und sinnerfüllten menschlichen Daseinsformen. Die „grund-stiftung“ will nun auch externen Kultur-, Bildungseinrichtungen, Menschen und auch Unternehmen einen Raum des Experimentierens zur Verfügung stellen, in dem diese neue Wege erproben können. Denn als Werkstatt für Gemeinschaftsentwicklung will die „grund-stiftung“ gemeinsam mit der Tempelhofer Gemeinschaft diese Organisationen und Personen unterstützen. Wir möchten sie einladen, in den Räumen der neu geschaffenen Stiftungsetage mitten im Herzen des Tempelhofs ihre Visionen zu entwickeln.
Ein weiterer Schwerpunkt der Stiftungsarbeit bleibt die Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen, gepaart mit der Erkenntnis, dass Grund und Boden keine Ware sind. Entsprechend werden wir weiterhin nicht nur landwirtschaftlichen Grund in die Stiftung einbringen und diesen somit vor Spekulanten schützen, sondern auch neue Formen des Bauens, der Landbewirtschaftung und Projekte zur Bodenfruchtbarkeit entwickeln.
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Zur Inspiration ein Interview mit Wolfgang Sechser, Stiftungsratsvorsitzendem der „grund-stiftung“.
Stefanie: Als einer der Gründer der Gemeinschaft und der ursprünglichen „Schloss Tempelhof Stiftung“, bist du seit Beginn strategisch, schaffend und kreativ dabei. Warum hat sich die Stiftung in die „grund-stiftung“ gewandelt?
Wolfgang: Am Anfang stand das Projekt unserer neu zu gründenden Lebensgemeinschaft am Tempelhof im Mittelpunkt, bei dem es kein Privateigentum geben sollte. Der Boden sollte nicht uns, der Gemeinschaftsgruppe, gehören, sondern allen, der großen Gemeinschaft aller Menschen. Für diesen sozialen Willen bot sich innerhalb des deutschen Rechts die gemeinnützige Stiftung an, die wir 2009 gründeten. Die „Stiftung Schloss Tempelhof“ gewährte der „Genossenschaft Tempelhof e.G.“, als rechtliche Vertreterin der Gemeinschaft im Alltäglichen Leben, die Nutzungs- und Alltagsrechte auf den gemeinsamen Grund. Es sollten hier neue Formen der Bodennutzung angewendet und gemeinschaftliche Projekte etabliert und unterstützt werden. Die Stiftung sah sich als Hüterin dieses besonderen Raumes, hatte zunächst aber keine weiteren inhaltlichen Aufgaben. Nachdem wir im Laufe des recht schnell erfolgreichen Aufbaus der Gemeinschaft immer häufiger auch von anderen Initiativen zur Beratung angefragt wurden und auch andere Orte für andere Gemeinschaften in die Stiftung aufnehmen sollten, wandelten wir die Stiftung in eine Dachorganisation die „grund-stiftung“. Mit ihr wollen wir andere Menschen beim Kauf von Grund und Boden unterstützen, soziale Verdichtungsräume und -prozesse schaffen und die Entwicklung hin zur gemeinschaftlichen Bürgergesellschaft aufbauen.
Stefanie: Doch nun hat sich die Stiftungsidee noch weiter gewandelt. Was war der Anlass dazu?
Wolfgang: Im Laufe der Auseinandersetzung mit unserer eigenen Gemeinschaftsentwicklung und der Beratung anderer konsens- und kooperationsorientierten Organisationen ist uns bewusst geworden, dass gemeinschaftliches Leben als Kristallisationsort und Experimentierfeld für die Frage dient: „Was ist wirklich Transformation? Wie kann sie nachhaltig gelingen?“ Einher ging die Erkenntnis, dass es ein enges Zusammenspiel zwischen der persönlichen Entwicklung und dem Einsatz in die Welt hineinwirken zu wollen, gibt. Wir haben festgestellt, dass die meisten innovativen und transformativen Bewegungen der Vergangenheit scheiterten, wenn die eigene persönliche Entwicklung der aktiv Beteiligten mit der in die Welt hinein gerichteten Vision nicht mehr mithalten konnte. Denn uns ist über das Leben und Arbeiten in Gemeinschaft bewusst geworden, dass gesellschaftspolitische Veränderungen nur angestoßen werden können, wenn sich gleichzeitig die eigene persönliche authentische Transformation vollzieht.
Stefanie: Kannst Du das mit einem Beispiel erläutern?
Wolfgang: Durch das Mitleben in einer Lebens- und Arbeitsgemeinschaft ist mir persönlich zum Beispiel immer wieder an dem Widerstand bei bestimmten Ideen oder Konzepten anderer Gemeinschaftmitglieder klar geworden, dass ich selbst als Person noch gar nicht in der Lage war, diese Ideen tatsächlich zu leben. Wenn ich beispielsweise zu scharf oder heftig etwas an Umwandlung oder Veränderung eingefordert habe, war mir selbst meist noch nicht wirklich bewusst, welchen inneren Themen ich mich in diesem Zusammenhang stellen musste. So setzt etwa die Idee einer organisch-evolutionären Organisation grundlegendes Vertrauen und radikal transparente Kommunikation zu den Mitmenschen voraus, denn organische Beziehungen sind nicht konzeptionell fassbar. Also musste ich mich zunächst mehr in das Gemeinschaftsfeld einlassen, mich aussetzen, bevor die Gedanken auch greifbarer und begreifbarer in die Welt gesetzt werden konnten.
Ein ähnliches Beispiel stellt die Beratungsarbeit, die Projektträgerschaft und -steuerung des ersten Earthships in Deutschland am Tempelhof dar. Wirkliche Transformation kann nur in dem Zusammenwirken von Vision, Idee und Beratung – also eher virtuellen Räumen – gepaart mit konkreter Umsetzung, ganz praktisch sichtbar in materiellen Räumen, nachhaltig wirken.
Stefanie: Ist aus diesem Spannungsfeld zwischen Theorie und Praxis auch Eure Idee zur Stiftungsetage gewachsen, die sich in der ersten Etage des Schlosses direkt über unserem Café befindet?
Wolfgang: Ja. Und auch hier stand zunächst die persönliche Auseinandersetzung des aktiven Tuns sprich der praktischen Begleitung des earthships durch Roman (Roman Huber – Vorstand der „grund-stiftung“) und meiner eigenen inneren Bewegung hin zu einer persönlichen Integrität von Gedanken, Haltung und Taten und daraus folgend mein temporäres Herausnehmen aus gesellschaftspolitischen Handlungen kontrovers im Vordergrund. Uns wurde in diesem Prozess klar, dass die „grund-stiftung“ neben dem gesellschaftspolitischen Auftrag immer auch die persönliche Entwicklung der Menschen begleiten – quasi den Dingen auf den Grund gehen sollte. So wie ich wiederum meine Wirkkraft in der Gemeinschaft mehr und mehr verwurzelt erlebe, so braucht auch Gesellschaftspolitisches „in-die-Welt-hineinwirken“ stetes Rückkoppelung in die geistigen Fragen. Dies muss auch in den jeweils tätigen Personen sicht – und spürbar werden.
Deswegen sind für mich die Persönlichkeitstrainings, Teamentwicklungen und Kommunikations-Workshops, die wir bisher in zahlreichen Begleitungen auch für soziale- und wirtschaftsorientierte Unternehmen durchgeführt haben, ein wesentliches zweites Wirkungsfeld der „grund-stiftung“. Diesem Wirkungsfeld nun auch konkret eine Heimat zu geben, war die ursächliche Idee zum Ausbau der Schlossetage am Tempelhof. Spannend war dabei, dass sich in der Ausbauphase diese Vision noch einmal verändert hat.
Stefanie: Wie kann ich das verstehen?
Wolfgang: Ursprünglich hatten wir vorgesehen eine Netzwerkzentrale für die vielen großen Transformationsorganisationen wie z.B. Transitiontown, GEN-Deutschland, Solidarische Landwirtschaft, die bei uns in der Gemeinschaft immer wieder Veranstaltungen durchführen, einzurichten. Sprich feste Co-Working-Spaces. Während der Ausbauphase und der gleichzeitigen Umsetzung des earthships sowie den damit verbundenen inhaltlich-geistigen Auseinandersetzungen, entschlossen wir uns, doch keine festen Vermietungen anzubieten. Die Räume sind nun als Räume der Lücke, des Verrückens und der Möglichkeiten freigestellt – frei, beweglich inspirierend eingerichtet, jedoch voll ausgestattet für jede Form von Workshop. Unsere Idee ist es, Menschen, die aus sich heraus leidenschaftlich eine Vision ahnen oder auch jungen NGOs oder Sozialorganisationen, diese Work-Camps günstig bis kostenfrei anzubieten, damit sie sich dort eigenständig verdichten können. Sie organisieren sich und den Prozess während dieser Zeit selbst, haben Anschluss an unser Leben in einer großen Gemeinschaft, können sich damit verbinden – und gleichzeitig auf unsere Erfahrungen und Organisationsmöglichkeiten aktiv zurückgreifen. Denn wir aus dem Stiftungsrat und Stiftungsvorstand werden in der gleichen Etage auch unsere eigene Räume haben und dort der Werkstatt für Gemeinschaftsentwicklung Räume geben.
Hier werden wir nun auch unterschiedlichste Initiatoren zu Gatherings einzuladen, an denen die eigene Aktion, Inhalt, Handlung auf die persönliche Übereinstimmung überprüft werden kann. Wir wollen uns und auch andere Visionäre und engagierte Menschen regelmäßig zu konzeptionsfreien, persönlichen Forschungsreisen treffen und bieten dafür eine ganz spezielle Präsenzbibliothek an, die meditativ gestaltet Bücher und andere Medien zur Entwicklung einer organisch evolutionären Gesellschaft hinterlegt hat.
Stefanie: Gibt es bereits konkrete Projekte?
Wolfgang: Neben dem bereits erwähnten earthship-Projekt, das wir im September letzten Jahres über die „grund-stiftung“ gestartet haben (siehe www.earthship-tempelhof.de), hat sich daraus eine Gruppe von jungen Menschen formiert, die eine neue Gemeinschaft gründen und ein großes Grundstück kaufen will. Sie werden im Februar hier 2 Wochen konzentriert daran arbeiten, das große Vorhaben real werden zu lassen. Roman Huberund Martina Jacobson, designierte Vorständin der „grund-stiftung“, werden sie dabei organisatorisch begleiten. Unsere Facilitatoren werden bei Bedarf moderierend und/ oder in den sozialen Prozessen begleitend hinzukommen. 2016 unterstützen wir auch die „Wanderkarawane“: Über zwei Jahre hinweg wird eine Gruppe von Menschen, deren Lebenswege „Geschichten des Gelingens erzählen“ in 20 ländlichen Kommunen unterschiedlichste Projekte und Initiativen vorstellen. Das Ziel dieser Wanderausstellung ist es, eine zukunftsfähige Heimat denkbar zu machen und überall Menschen anzuregen, daran teilzunehmen oder sie selbst zu initiieren. Die „grund-stiftung“ sieht sich dabei als Schnittstelle zwischen solchen Projekten.
Vielen Dank für das Gespräch, Wolfgang!