Leben in Verbundenheit – wofür wir Ökodörfer stehen
Essay von MarieLuise Stiefel
Leben in Verbundenheit – das ist es, wofür wir Ökodörfer stehen. Verbundenheit mit der Natur, der uns umgebenden nichtmenschlichen Welt, unter uns Menschen. Wir können Verbundenheit nicht an den Grenzen unseres Areals enden lassen. Wir können sie auch nicht im Heute enden lassen, sie reicht in die Zukunft.
In einem Netz von Verbundenheit können wir nicht Nichtwirken. Wir haben Verantwortung.
Der Krieg in der Ukraine geht uns an – alle Kriege auf der Welt gehen uns an.
Wir sind beim Ukrainekrieg BeobachterInnen einer Eskalationsspirale geworden, ohne zu wissen, wie wir diese aufhalten können. Geht es so weiter, werden eines nicht all zu fernen Tages in der Ukraine nicht nur mehr Waffen gebraucht, sondern auch Menschen, die kämpfen. Auch aus unseren Ökodörfern. Die Kosten dieses (und der vielen anderen, weiter von uns entfernten) Krieges – heute für die Waffen, morgen für den Wiederaufbau all des Zerstörten – belasten über Jahrzehnte hinweg die kommenden Generationen, die Folgen für den Planeten noch nicht mitgedacht.
Wie damit umgehen, ohne in Hoffnungslosigkeit zu versinken oder sich in Ausblenden oder Gleichgültigkeit zu retten?
Wie können wir einen Unterschied machen?
Was sind mögliche Beiträge, für die genau wir diejenigen sind, die sie leisten können?
Um wieder einmal Einstein zu bemühen: Wir lösen unsere Probleme nicht mit dem Bewusstsein, aus dem heraus diese entstanden sind. Ergo: Kriege hören nicht auf, wenn wir uns ihrer Logik anschließen. Auch nicht im Namen des Friedens. Dies ist eine Logik der Trennung, der Durchsetzung der Stärkeren, des Schwarz-Weiß-Denkens, des Rechthabenwollens, des Ausblendens und Ausgrenzens, des Diffamierens und Entwürdigens. Den Andersdenkenden zum Gegner machen und dann vernichten. Erst mit Worten, dann mit stärkeren Waffen. Fragt Menschen, die sich in Covidzeiten ihr eigenes Denken bewahrt haben und immer wieder für einen öffentlichen Diskurs der Vielfalt eingetreten sind, wie es ihnen heute geht. Und fragt jene, die wegen ihrer Maßnahmentreue gemobbt wurden. Wie konnten wir als gebildete, demokratisch organisierte Nation eigentlich dermaßen aus einem Denken in vielfältigen Perspektiven herausfallen? Wie konnte das überwunden geglaubte Obrigkeitsdenken mit all seinen Schattenseiten dermaßen überbordend aus allen Poren unserer Gesellschaft hervorbrechen? Ist es die jeden einzelnen Verstand überfordernde ungeheure Komplexität einer globalen Welt, die uns Rettung in einfachen Antworten suchen lässt und dafür eine Polarisierung in Wahrheitsbesitzende und Abweichler, in Folgsame und Sündenböcke hervorbringt?
Logik des Miteinander
All die humanitären, ökologischen, pandemischen, wirtschaftlichen Krisen, mit denen wir heute zu tun haben, stoßen jene, die sehen wollen, mit der Nase auf eins: Wir leben in Verbundenheit, ob uns dies bewusst ist oder nicht. Vielleicht ist dies der tiefere Sinn dieses Krieges auf europäischem Boden, dass wir endlich erkennen: Im Guten wie im Bösen sind wir verbunden, im Schönen wie im Hässlichen, in der Gier und in der Ausbeutung, im Zerstörerischen und Zerstörten wie im Schöpferischen und Lebendigen. Seit über hundert Jahren weist die Quantenphysik auf diese grundlegende Verbundenheit von allem hin. Wir könnten es eigentlich wissen. Dies zu Negieren, ist kein Zeichen von Klugheit, sondern von Schwäche des menschlichen Geistes.
Wenn die Ursache von Nichtfrieden das „Denken in Trennung“ ist und die Themen zu groß und komplex für unsere zahlreichen Gehirne, dann liegt für mich die Antwort auf der Hand: Lösungen, die dem Frieden dienen, entspringen aus dem Bewusstsein von Verbundenheit. Die Organe für die authentische tiefe Wahrnehmung von Verbundenheit sind unsere Herzen. Von hier nimmt die Sprache des Friedens ihren Ausgang.
Leben in Verbundenheit – Sprache des Friedens
Dies habe ich erkannt und bin dennoch, wie die meisten unter uns, nicht ohne weiteres in der Lage, dies auch (ständig) zu tun. Irgendetwas im menschlichen Geist scheint stärker zu sein als die Kraft der Erkenntnis der Allverbundenheit. Es sind Jahrhunderte alte geistige Gewohnheiten, die uns bis in die Zellen prägen, weil wir und unsere Vorfahren darin aufgewachsen sind. Und es sind tiefe persönliche und kollektive Wunden, entstanden im Umfeld von Trennung, die unbewusst unser Sein in der Welt steuern und Trennung aufrechterhalten. So sehr, dass es einem Akt von Revolution gleicht, sein Leben nicht nur gedanklich, sondern tatsächlich aus Verbundenheit heraus zu führen und das Miteinander entsprechend zu organisieren. Dass Leben aus einem grundlegenden, alles durchdringenden Gefühl von Verbundenheit, kein naiver oder romantischer Quatsch ist, sondern möglich, lehren uns z.B. die Kogi (s. Artikel im Newsletter Herbst 2022). Es ist dies der Ansatz, als Menschheit auf diesem Planeten zu überleben.
Daher: Lasst uns ganz entschieden, viel entschiedener noch als bisher, das Leben, Sprechen und Handeln aus Verbundenheit zur Maxime machen.
So wie bei uns in der Landwirtschaft viel Aufwand in den Humusaufbau gesteckt wird, so not-wendig ist es, im menschlichen Miteinander den Boden für Verbundenheit zu pflegen und zu nähren. Ob es uns gelingt, erkennen wir an unserer Sprache, an unseren Glaubenssätzen, am wertschätzenden Zulassen von Vielfalt, an unserer inneren Friedfertigkeit.
Friedensorte – Forschungsorte
Wir brauchen Orte und Zeiten der Stille, um uns immer wieder im Herzen zu sammeln, wenn Komplexität uns zu überrollen droht. Wir brauchen Orte des urteilsfreien Hörens, die unser Sprechen ermutigen und ein Feld schaffen, tiefer nach Innen lauschend uns selber auf die Spur zu kommen. Wenn ich meinen inneren Putin, meinen inneren Selenskyj, meine innere ukrainische Mutter, deren Sohn im Krieg das Leben genommen wurde, meine innere Russin, deren Mann in den Krieg beordert wurde, wahrnehmen und spürend zulassen kann, entsteht in mir eine tief verstehende Integrität, aus der friedensförderliche Handlungsimpulse entspringen können.
Wir brauchen auch Orte, an denen frei von geistigen und emotionalen Barrieren nach Antworten geforscht werden kann: Wie sehen unsere persönlichen, unsere gemeinschaftlichen Wege der Konfliktlösung aus? Sind sie genährt vom Geist der Verbundenheit oder verstärken sie Trennung? Wo sind in unserer Gemeinschaft Inseln des Schweigens, gewoben aus abgebrochenen, konfliktbeladenen Gesprächsfäden? Sind wir bereit, hinzuschauen, uns zu kümmern?
Wann beginnt eigentlich im Miteinander schon Gewalt? Beim Verweigern eines offenen Ohres? Beim Überstülpen von Projektionen? Beim Verdinglichen des Anderen als nützliches Objekt für meine Zwecke?
Wenn sich in einem Netz von Verbundenheit an irgendeiner Stelle eine unheilsame Dynamik entwickelt – was würden die Selbstheilungskräfte dieses Netzes tun? Wie sehen Rückkoppelungen aus, die die Dynamik schwächen? Wie nehmen wir Einfluss, ohne im Besitz von physischer oder politischer Macht zu sein?
Fragen über Fragen. Wir können im Forschen nach Antworten Friedensarbeit hier und jetzt betreiben.
Mir hilft die Vorstellung von morphogenetischen Feldern: Wo immer etwas Heilsames geschieht, hat es Auswirkungen auf das Ganze. Das gilt auch für das Gegenteil. Wir haben die Freiheit und die Eigenmacht zu entscheiden, welches Feld wir nähren möchten.
So wie auf dem Weg zur Autobahn manchmal ein Schild kommt „Letzte Tankstelle vor der Autobahn“, kommt mir der Krieg so ganz in unserer Nähe wie ein gesteigerter Dringlichkeitshinweis vor: Letzte Chance, euer Leben umzupolen und dem Streben nach einem Leben aus dem Bewusstsein von Verbundenheit heraus oberste Priorität einzuräumen.