Vor einigen Wochen erhielten wir eine Rückmeldung von einem unserer helfenden Gäste, die uns sehr berührt und erfreut hat. Mit freundlicher Erlaubnis von Georg, dem Schreiber dieser Zeilen, möchten wir gerne diesen Brief mit Euch teilen.
Liebe Tempelhof-Gemeinde,
aus Köln kommen die besten Grüße vom Gasthelfer der letzten Woche Georg. Ich habe zwar mündlich schon einiges zurückgemeldet, aber schriftlich macht es dann noch mal Spaß den Aufenthalt zusammenzufassen. Ich bin mit relativ wenigen Informationen, vorbehaltlos angereist und hatte im Prinzip keinerlei Erwartungen. Dies hat den Vorteil, dass man recht selten enttäuscht werden kann.
Nach meiner Gasthelfer-Woche kann ich sagen, ich bin sehr positiv überrascht. Zwar bin ich nicht in den Genuss gekommen, gemeinsam mit anderen Gasthelfern bei euch zu sein, aber auch so konnte ich einen guten Eindruck vom Leben im Tempelhof gewinnen.
Vom ersten Moment an hatte ich das Gefühl, hier wird mit einer unglaublichen Ruhe gelebt und gearbeitet, Entspannung praktisch ab der ersten Minute. Auch die Altersmischung fiel mir direkt beim ersten Mittagsessen auf, vom Baby bis zum „Greis“, alles im kleinen Dorf, gleichzeitig mit dem sehr freundlichen Umgang, mit- und untereinander.
Rückfragen, die offensichtlich aufkommen, warum man für einen Arbeitseinsatz auch noch bezahlen soll, kann ich nicht verstehen. Ich hatte eine Woche Vollpension mit drei ausgezeichneten Mahlzeiten zu einem absoluten Schnäppchenpreis. Zusätzlich im Preis inbegriffen ein therapeutisch betreutes manuelles Schaffen. Die Produkte für das eigene Essen erst ernten, dann zubereiten um alles dann in Gemeinschaft zu genießen, hat schon mehrere Sterne im Service verdient.
Den Alltagsstress einfach mal hinter sich lassen, dafür muss man bei einschlägigen Angeboten schon mal die gleiche Summe am Tag bezahlen. Bei euch bekommt man zusätzlich nette Leute, eine große Gemeinschaft, Unterstützung bei allem, was einen bedrückt sowie eine Vielzahl zusätzlicher Therapie- und Wellness-Angebote, zu deren Nutzung man aber kaum Zeit hat.
Niemand läuft hier mit dem Handy vor der Nase herum. Vorteilhaft ist zudem, dass der Internetempfang nur an sehr ausgewählten Plätzen möglich ist. Dies macht ungemein frei, der ständige Blick, ob die große weite Welt sich gerade an mich persönlich wendet, unterbleibt für eine Woche. Ein Leben wie vor 20 Jahren.
Wenn man Glück hat, so wie ich, wird sogar die Schatzkammer geöffnet und man kann sich kostenlos mit Produkten aus der „guten alten Zeit“ eindecken, im Tausch kann man hier sogar seinen „ererbten“ Pelzmantel oder sein neuestes Smartphone „entsorgen“.
Insgesamt also ein Wellnessurlaub der besonderen Art. Das mein Rücken und Teile des rechten Knies die Besonderheiten des Wellnessurlaubs nicht optimal genießen konnten ist von nachrangiger Bedeutung. Positiv auch der Wechsel von Möhren und Kartoffeln ernten zur Verarbeitung derselben in der Küche.
Großer Dank an die Mädels und Jungs aus der Gärtnerei, die mir eine neues Bodenhaftung / Bodenkontakt / Erdung zurückbrachten. Der persönliche Kontakt zu Lauch, rote Beete, Möhren und den ungemein großen Kartoffeln erbrachte wieder mehr Respekt in Sachen Lebensmittelproduktion.
Das Team um Frank und Martin in der Küche steht nicht dahinter zurück. Einfühlsam wird jede Möhre einzeln in den Speiseplan eingearbeitet. Schön zu sehen, dass die eigenhändig geernteten Möhren -zumindest die nicht ganz so „verkaufsoptimierten Ausgaben“ immer wieder durch meine Hände gereicht wurden, von der Grobwäsche auf dem Hof, über die Feinwäsche und Weiterverarbeitung in der Küche bis zum Speiseteller.
Gibt es ein Wellnesshotel, was all dies bietet? Ich glaube nicht, zumindest nicht in dieser Preiskategorie. Als pensionierter Lehrer, der sich 40 Jahre lang bemüht hat an einer staatlichen Gesamtschule die Schüler für das Leben zu begeistern und die ersten 20 Jahre seines Lebens auf einem kleinen Bauernhof in einem Dorf, welches etwas größer als Tempelhof war in den 50er/60er Jahren aufzuwachsen, mit Schweinen, Kühen, einem großen Garten und täglich 10 Stunden Arbeit auf den eigenen und den Feldern der umliegenden Kleinsthöfe, kann ich nur sagen: „läuft bei euch“!
Es war praktisch eine kurze analoge Reise zurück in das vergangene Jahrhundert verbunden mit den Möglichkeiten der neuesten Technologien. Angesichts der Krise in der wir stecken (Klima, Migration, ..) und der unsinnigen Vorstellung, alles ließe sich durch mehr wirtschaftliches Wachstum und die Digitalisierung 4.0 lösen, ist euer Versuch dieser konsumorientierten Individualisierung des menschlichen Lebens „die Gemeinschaft“ entgegenzustellen, einfach nur großartig.
Die Widersprüchlichkeit des Vorhabens liegt auf der Hand, nichts desto trotz ist es mehr als notwendig, ein solch notwendiges Biotop aufrecht zu erhalten. Die Fakten die unser wachstumsorientierter Lebensstil produziert, liegen auf der Hand und signalisieren nichts Gutes, daher ist jeder Versuch, das Gerede über Veränderungen durch ein Handeln zu ersetzen (zumindest zu untermauern) absolut unterstützenswert.
Ich bedanke mich dafür, dass ich zumindest für eine Woche Teil eurer Gemeinschaft sein zu konnte und verbleibe in solidarischer Bewunderung mit den besten Wünschen für eine erfolgreiche Fortsetzung des Experiments
Euer Georg
Oder wie ich gerne zu sagen pflege: „gracias por tanto amor“ (danke für so viel Liebe).