Berührbare Männlichkeit und Weiblichkeit als kollektives Thema im Wir-Prozess/ Wir in Aktion

Wir, als Teilnehmer des Seminars „Wir in Aktion (WiA)“ in diesem August, waren so berührt von den Erfahrungen, die wir dort erleben durften, dass wir bewegt und inspiriert sind, davon etwas sichtbar zu machen und zu teilen. In einigen Momenten des Wir-Prozesses, der zu Beginn der gemeinsamen Woche stattfand, bekamen wir eine Ahnung davon, was es bedeuten kann, wenn kollektive Intelligenz durch die unbewusste Choreographie einzelner Beiträge archaische Themen für alle fühlbar macht.

Der Boden für genau diese Momente, an denen im Raum etwas Größeres spürbar wurde als die einzelnen Beiträge, wurde angestoßen durch den Tempelhof selbst als Feld. Ein Ort, an dem Menschen bereit sind, an sich zu arbeiten und der die Möglichkeit eröffnet, sich mit dem authentischen Selbst zu zeigen. Weiter geöffnet wurde das Feld durch den achtsam gehaltenen Raum durch die Begleiterinnen MarieLuise und Martina sowie die Empfehlungen für den Wir-Prozess. Besonders die Empfehlung, auf das „Bewegt sein zu sprechen“ zu hören, häufig bemerkbar durch das eigene Herzklopfen, und sich von Innen leiten zu lassen. Ehrliches Üben im Umgang mit Gefühlen wie Wut, Scham und Trauer und sich damit zeigen vor Zeugen ermöglichte eine höhere Bewusstheit einzelner, die, spürbar für andere, das Vertrauen gefördert hat aufzumachen – und nicht zuletzt die authentischen Reaktionen.

Möglicherweise war es von Bedeutung in diesem Prozess, dass es zu Beginn zunächst Frauen waren, die ihre Wut gezeigt haben. Das fing mit Susanne an, die offen über ihre zurückgehaltene Wut sprach. Daraufhin haben sich andere Frauen getraut, ihre aufgestaute Wut laut herauszuschreien. Kira: „Ich hätte gerne mit ihnen gebrüllt, habe gefühlt, wie gut es mir tut, wenn diese Energie als konstruktive Kraft sein darf, und wie ich mich selbst von dieser Quelle abgeschnitten habe.“ Nicht weniger wichtig mag es gewesen sein, dass sich dann gerade auch Männer mit ihrer Trauer und Verletzlichkeit berührt und berührbar gezeigt haben.

Und schließlich fühlte es sich an, als würde etwas Kollektives durch die Einzelnen hindurch in und durch die Gruppe fließen – so etwas wie eine transformative Kraft. Hier durfte etwas sein, durfte etwas auftauen, weicher werden und eine höhere Liebesenergie wurde fühlbar. Wir bekamen einen Geschmack davon, wie Männlichkeit und Weiblichkeit in ihrer jeweiligen Essenz und in ihrer Polarität stimmig und heilsam zusammenspielen können.

Für Stefan kam der Moment so: Mein Herz klopfte immer stärker, ich spürte im Körper ein Aufrichten, Aufstehen und Nachvornegehen. Ich habe das als richtigen Schub wahrgenommen – und verbunden mit einer klaren Wutenergie. Ich bin aufgestanden, in den Kreis gegangen und habe um einen Mann als Gegenüber gebeten, um körperlich meine Kraft auszuprobieren und mich und ihn darin zu fühlen. Dahinter habe ich den Schmerz gespürt, dass mein Vater in seiner Rolle, in seiner männlichen Kraft und emotional für mich nicht da war, kein Gegenüber war auch im körperlichen Kontakt, wie ich es gebraucht hätte. Und dahinter noch tiefer kollektiven Schmerz, Kriegstrauma. Als der andere Teilnehmer dann jedoch als konkretes Gegenüber vor mir stand, hat sich etwas gewandelt und ich habe Liebe in mir gefühlt.“

Die beiden Männer haben in der Mitte miteinander körperlich gerungen mit einer gleichzeitigen Bewusstheit, einander nicht verletzen zu wollen. Und als sie in die Nähe der sitzenden Teilnehmer kamen in ihrem Ringen, standen sofort zwei andere Männer schützend auf.

Kira:„Als Frau ist etwas in mir abgefallen in diesem Moment, etwas hat sich entspannt. Männer zu sehen, die sich als Schutzschild vor andere stellen und dabei gleichzeitig ermöglichen, dass männliche Kraft sich ausdrücken und erproben kann. Als würde dadurch auch in mir etwas freier und klarer. Als dürfte ich etwas ablegen, was nie meins gewesen war. Mir ging es wie einer anderen Teilnehmerin: Es hat sich angefühlt hat, als hätte sich archaisch etwas geordnet im System.“

Stefan kam in Berührung mit etwas, was er im Nachhinein assoziiert mit dem Begriff: Heilende-liebevolle Krieger des Lichts:„Je mehr ich den Schutzpanzer um mein Herz aufmache und mich scheinbar verletzlich mache, desto mehr kann ich aufnehmen, die Waffen fallen weg, ich bin gleichzeitig klar bei mir und kann dadurch Verletzungen und eingefrorene Stellen berühren, betrauern und fühlen, wie die Stelle warm wird, ich sie annehmen kann und erwachsen integrieren.“

Eingefroren scheint ein Teil der männlichen Energie – sowohl Wutkraft, die in Tatkraft umgewandelt werden kann, zurückgehalten aus Angst zu verletzen, aus Angst selber Täter zu werden, als auch weichere Gefühlskraft, die fließen kann, wenn auch Männer weinen dürfen.

Susanne: „Genau dieser beschriebene Schutzpanzer und das Eingefrorensein gehen bei mir sehr in Resonanz. Es scheint, als wäre ganz viel Energie da, aber für mich fühlt es sich an, als wäre sie versteckt, dürfte nicht sein. Das löst bei mir das Muster aus, ich müsse etwas tun, in Aktion gehen, die Verantwortung dafür zu übernehmen. Wenn ich aber genau bei mir schaue, ist das nicht stimmig, weil es gar nicht meine Aufgabe ist. Weil ich damit meine weibliche Energie verlasse und mich wie übergriffig empfinde, indem ich es dem anderen nicht zutraue, wenn ich ganz ehrlich bin.“

Letztlich geht es wohl darum, als Mann wirklich da zu sein, präsent, berührbar und kraftvoll in Verantwortung – im archaischen Sinne seine Rolle als Mann zu nehmen – und dadurch kann Frau einen Teil der Rolle loslassen, den sie nur genommen hat, weil sie nicht ausgefüllt wurde. Und so macht ein Zitat von Rumi plötzlich sehr viel Sinn: Deine Präsenz holt mich raus aus Eitelkeit und Einbildung und Urteil.

So kann es sich also anfühlen, was sich in der Beschreibung des Wir-Prozesses so einfach liest: „…Antworten im alten Sinne taugen nicht mehr, vielmehr der Wille und der Mut mit den offenen Fragen zu leben und sich im Sinne Rilkes als Forscher in Neuland zu begeben…in diesem Sinne dient die Gruppe und der Gruppenkontext als Übungsfeld…Damit der Prozess sein ganzes Potential entfalten kann, braucht es von jedem von uns eine einzigartige Mischung aus wachsender Bewusstheit, Verantwortung und Hingabe…“

Wir sind dankbar für die Räume, die am Tempelhof für solche Erfahrungen geschaffen und gehalten werden. Nicht nur mit Wir-Prozess, Gemeinschaftsintensivprozess (GIP) und Wir in Aktion (WiA), sondern auch mit den vielen anderen Angeboten für Gemeinschaftsbildung, Persönlichkeitsentwicklung, Heilung, Bildung und Bewusstsein.

Kira Petersen, Stefan Müller und Susanne Socher

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