Angebote für junge Erwachsene am Tempelhof

Von Kira Petersen (mit Zitaten von Laura, Yannic, Marlen, Matti, Friedemann, Medira, Simon, Doris und Alicia)

Wir blicken auf einige Monate lebendigen, auch konfliktoffenen Austausch und Gemeinschaftsarbeit zurück. Viele Angebote für junge Leute haben tiefe und berührende Momente für alle kreiert: Gemeinschaftserfahrung, experimentelles Bauen, selbstbestimmte Bildung, Orientierung, Kultur und das Festival Flowtopia. Nicht nur die Teilnehmenden, auch viele Menschen im Dorf sammelten erstaunliche, bereichernde, unvorhergesehene Erfahrungen. Und mit zwei neuen Richtungen bleibt es spannend und lebendig!

Drei Entwicklungswege für die junge Zukunft

Bei meinem Abendspaziergang im September sehe ich (Kira, ein Projektverantwortliche für die jungen Menschen am Tempelhof) einladende Lichter auf der Wiese vor der Gemeinschaft Tempelhof funkeln. Ich höre Lachen und Singen ums Lagerfeuer. Junge Menschen, die trotz der herbstlichen Kälte noch unsere Campwiese am Bachlauf beleben. In Bauwagen, Jurten und Zelten lassen sie den Sommer ausklingen.

Tempelhof öffnet Räume, in denen junge Menschen Inspiration, Selbstermächtigung und Gemeinschaftstools erfahren, um mit Kraft und Ausrichtung mutig ihre ur-eigenen Wege gehen und die Welt von morgen zu gestalten l. Zusammen mit der nächsten Generation suchen wir zukunftsfähige Antworten auf die großen und drängenden gesellschaftlichen Herausforderungen (z. B. Sinnfragen, die ökologische Krise, soziale Krisen, Berufe der Zukunft, etc.). Hierzu haben sich drei Richtungen für Angebote herauskristallisiert.

Die Orientierungswerkstätten: Unter dem Motto „Wer bin ich für die Welt von morgen? Zukunftsgestalter*innen gesucht“, luden wir 2022 wieder ein zu verschiedenen Arbeits- und Gesprächsmodulen und Camps. Ambitioniert und lösungsoffen, kreativ und freilassend empfingen wir insgesamt über 150 Menschen zwischen 18 und ca. 30 Jahren. Einiges Unvorhergesehene ist passiert, es gab magische Momente, unplanbare Begegnungen und die Entdeckung unverhoffter Schätze.

Der zweite Ausrichtungsweg hat uns mit seiner Eigendynamik überrascht: Im kommenden Winter lässt sich die Tempelhofgemeinschaft auf das „Experiment“ ein, eine bestehende Gruppe junger Menschen für sechs Monate in die Gemeinschaft zu integrieren. Eigentlich wollten wir uns der Entwicklung eines eigenen Wirkungsortes für junge Menschen, dem „jungen Dorf“ mit (temporärer) Beheimatung innerhalb unserer „Muttergemeinschaft“, erst ab 2023 ernsthaft widmen. Die Anziehungskraft dieser Vision war offenbar sehr hoch. Kaum hatten wir sie ausgesprochen, stand eine Gruppe junger Menschen bereits im Februar, Monate vor dem eigentlichen Start des Programms, schon vor unserer Tür. Sie wollte das Wagnis starten. Seitdem forschen wir an der stimmigen Form für dieses Experiment.

Unsere dritte Option für „junges Leben am Tempelhof“ ist aktuell  in der nächsten Entwicklungsphase: nach 18 Monaten JuBa-Experiment bieten wir  ab Herbst 2023 ein lebenspraktisches Orientierungsjahr mit dem Arbeitstitel „Jugend baut Zukunft“ an. Darin wird eine kleinere Gruppe von Teilnehmenden intensiv auf ihrem Weg begleitet, selbstbestimmt ihre eigenen Impulse und daraus folgend ihren Platz in der Gesellschaft zu finden. Mehr Infos dazu unten und hier: orientierungswerkstaetten@schloss-tempelhof.de

Orientierungswerkstätten: von Baumodulen zum Flowtopia Festival

Zusätzlich zu kürzeren Camps wollten wir in diesem Jahr die Infrastruktur auf der Campwiese ausbauen. Über das Arbeiten als Gemeinschaftsaktionen ist in aufeinander folgenden Baumodulen einiges entstanden. Ein Mandalapavillion wurde gebaut, bei dessen „Reciprocal Roof“ jeder Stamm zählt – wie übertragen im Gruppenprozess – wo jede Hand beiträgt. Das Gebäude wurde im weiteren Verlauf mit Lehmwänden, Waschbecken, Duschen und vielen liebevollen Details ausgestaltet. Im nun schmucken Zentrum der Campwiese konnten sich die Teilnehmenden kreativ austoben mit Mosaiken, einem schrägen Fenster, alten Flaschen, farbigem Kalkputz, Fundstücken aus der Natur und viel Spaß. Es dient als Dusch- und Waschhaus. Fast gleichzeitig entstanden Trenntoiletten und die Solarthermie-Anlage, die die jungen Leute unter fachkundiger Anleitung anschlossen und in Betrieb nahmen. Laura, die aus Interesse an nachhaltigen Bauweisen gekommen war, hat ihre „Begeisterung fürs handwerkliche Arbeiten erforscht“ und fand die Erfahrung „bereichernd und empowernd.“ Yannic bewertet rückblickend das Baumodul als eine Erfahrung, die ihn dazu bewegt hat, Dinge in seinem Leben neu zu betrachten: „Teilweise ist mir erst im Nachhinein aufgefallen, wie sehr mich diese Gespräche und Eindrücke heute noch positiv bei Entscheidungen unterstützen.“

Die Zukunft im Blick, ging es im Juli intensiv und sehr bewegend weiter im Orientierungscamp. Die Teilnehmenden hatten sich schnell als vertraute Gruppe gefunden und beschäftigten sich konkret mit ihrem individuellen Weg und nächsten Schritten. Als besonders schön und motivierend empfanden sie den Kontakt zu Tempelhofer*innen und „Länger-gelebt-habenden“ Menschen. Viele haben bei uns im Camp zum ersten Mal ein nährendes Miteinander erlebt, in dem auch Verletzlichkeit gezeigt werden kann, die aufgefangen wird.
Besondere Aufmerksamkeit galt den individuellen Entscheidungen, die das junge Leben der Teilnehmenden prägen. So Marlen zu ihrer Erfahrung mit dem Orientierungscamp: „Es ist lange her, dass ich mich selbst so sehr spüren durfte! Es ist schön, sich mit sich selbst so sehr auseinanderzusetzen, aber das bedeutet ja auch, sich seinen Themen zu stellen. Jetzt habe ich Werkzeug und Tools in die Hand bekommen und habe eigentlich gar nicht mehr die Möglichkeit in meine alten Muster zurückzugehen. Das wäre ja Selbstbetrug.

Der August war bewegenden Prozessen der Gemeinschaftserfahrung gewidmet. Ein in seiner Intensität und lebendigen Taktung einzigartiger Wir-Prozess mit 40 jungen Erwachsenen, bildete den Auftakt. Die Teilnehmenden ließen sich mit ganzem Herzen ein, Masken fielen, Gefühle bekamen Ausdruck, Herzen öffneten sich und authentische Verbindung wurde spürbar. Eindrücklich ist die Beschreibung von Linda Medira, eine der Teilnehmerinnen: „Es ist Freitagnachmittag, wir sitzen im Kreis, wissen noch nicht wirklich, worauf wir uns gerade einlassen. Im Raum ist eine leichte Spannung spürbar. Neugierde, Unsicherheit und Vorfreude zugleich. Nach anfänglicher Harmonie begannen einige von uns, sich mit Trauer oder Wut zu zeigen. Es gab einen Moment, in dem wahrscheinlich jedwedes mögliche Gefühl gleichzeitig im Raum war, durch Worte oder Bewegung. Oder einfach dadurch, dass es ein „damit Da-Sein“ gab. Eine wirklich bizarre, heilsame und bewusstseinserweiternde Erfahrung, sich so authentisch zeigen zu dürfen. Nach dem „Chaos“, der dritten Phase des Prozesses, beruhigte sich die Stimmung wieder und es begann eine neue Form der Begegnung. Weniger Denken, mehr Sein. Fast wie ein Theaterstück, doch vom Leben selbst geschrieben. Eine Erkenntnis von sich selbst in anderen.“

15 der jungen Menschen hatte der Prozess „gepackt“. Sie entschieden im Anschluss daran eine längere Zeit am Tempelhof zu bleiben und einen speziellen Gemeinschafts-Intensiv-Prozess für junge Menschen mit anschließender Visions- und Strukturphase mitzumachen. Er bereitete schließlich den Boden für das neue Winter Experiment Gemeinschaftserfahrung (siehe unten). „Da Gemeinschaft mit dem Individuum beginnt, beschäftigten wir uns zunächst mit uns selbst. Wir arbeiteten mit unseren Licht- und Schattenseiten und Glaubenssätzen. Wir sprachen über Führung und geführt werden und wählten Königinnen und Könige für einen Tag. Wir beschäftigten uns in Kleingruppen mit unseren Biografien, um unsere unbewussten Rollen zu erkennen. Am Ende der Zeit ist jeder ein Stück befreiter aus dem Prozess gegangen“ (Linda Medira).

Im September, nach vielen Wochen und Monaten des Arbeitens, Ringens, Planens und Feierns im jungen Dorf, schloss das Programm mit dem Flowtopia Festival ab. Die Next Pioneers, die Gruppe, die Anfang des Jahres hier aufgetaucht war, richtete das Fest aus. Simon, einer der Ausrichtenden, fasst zusammen: „Es gab vegane Speisen, magische Workshops, inspirierende Austauschrunden und eine Vielfalt an künstlerischen Ausdrucksformen. Es wurde an neuen Kommunikationswegen geforscht, in Dorfgruppen eigene Kulturimpulse entwickelt, gemeinsam musiziert, getanzt und sich über eigene Ideen und Visionen ausgetauscht. Zwischendurch gab es Musik von jungen Künstlern, eine Open Stage, einen Ecstatic Dance und Frauen-, Männer- und Flintakreise. In der gemeinsamen Jugendraumperformance entwickelte eine Gruppe den künstlerischen Weg der Potentialentfaltung von der Raupe bis zum Schmetterling.

Als Teilnehmerin hat Doris es so erfahren: „Nach einem Festivalmarathon in diesem Jahr kam ich als Nachzüglerin nach Flowtopia. Es regnete als wir ankamen, doch die Menschen strahlten mich an. Direkt startete ein Ecstatic Dance. Und obwohl ich fast niemanden kannte, tanzte ich wenige Minuten später mit Schmetterlingsflügeln durch eine Kapelle. Trotz Nässe habe ich mich an keinem anderen Ort so schnell geborgen gefühlt und zurechtgefunden. Küche, Feuerstelle, Kuscheljurte, Kreativstätte und die schönsten Sanitärsalons, die ich je gesehen habe, liegen gemütlich nah beieinander. Die lockere Open Stage hat KünstlerInnen aller Art auf die Bühne gelockt. Und auch hier war ich beeindruckt, wie die zahlreichen Kinder Teil der Gruppe waren und nicht wie ein störendes Add On zu gestressten Eltern wirkten. Am Feuer abends war es so schön zu sehen und zu hören, wie befreit wir gesungen haben! Die Gespräche haben mir Hoffnung gemacht, dass unser Wunsch nach einer erwachten Menschheit keine Utopie ist, sondern in uns und mit uns bereits flowt und wir uns im Vertrauen unserem Fluss hingeben können.“

Winter-Experiment Gemeinschaftserfahrung

Fünf Menschen der Gruppe „Next Pioneers“, die von der Vision eines Wirkungsortes für junge Menschen am Tempelhof angezogen seit Februar immer wieder zu Besuch waren, haben sich entschieden, den Winter am Tempelhof bleiben zu wollen. Mehr und mehr Leute kamen über die Prozessphasen hinzu. Im Moment ist die Gruppe dabei, sich neu zu finden mit dem Ziel, miteinander und mehr mit der Tempelhofgemeinschaft zu leben. Sie wollen in das größere „Gefäß“ wirklich eintauchen, Alltag leben als Übung und Forschungsraum, und die Vision für einen co-kreativen Wirkort weiterentwickeln. Tempelhof sucht gerade aktiv nach Wegen, um dieses Experiment möglich zu machen.

Ausblick: ein lebenspraktisches Jahr für Orientierung und selbstbestimmtes Lebens

Dem allen nicht genug für 2022, gehen unsere Planungen noch weiter: Mit dem Arbeitstitel „Jugend baut Zukunft“ wollen wir am Tempelhof ab Herbst 2023 mindestens 8-12 jungen Erwachsenen zwischen 18 und 28 Jahren einen einjährigen, praxisbezogenen Lernort bieten, indem sie selbstbestimmt ihre Lernschritte gestalten. Das Besondere dieses Orientierungsjahres liegt in der Verbindung von lebenspraktischem Tun, der Auseinandersetzung mit Sinnfragen und der Einbettung in die Gemeinschaft. Schwerpunkte fokussieren die Basics für ein selbstbestimmtes Leben: „ein Haus bauen können“ (breite handwerkliche und unternehmerische Einblicke), „seine eigene Ernährung sichern“ (Permakultur, biologische Landwirtschaft, Lebensmittelverarbeitung und -zubereitung), „in Gemeinschaft leben“, „seine persönliche Reife entwickeln“ und die „Auseinandersetzung mit der Außenwelt“ (Philosophie, Politik, Gesellschaftsgestaltung, Umgang mit Bürokratie…). Das Orientierungsjahr spricht Körper, Geist und Seele ganzheitlich an. Die TeilnehmerInnen erfahren die konsequente Verantwortung für ihr Tun, lernen Teamarbeit und kommen so in Kontakt mit sich selbst und der realen Welt. Das besondere Potenzial unserer Zukunftswerkstatt mit Großküche, Seminarhaus, Permakultur/Agroforst, Handwerksbetrieben, freier Schule, Verwaltung, Mehr Demokratie e.V., etc. bietet dafür den Rahmen. Erfahrene HandwerksmeisterInnen, ArchitektInnen, UnternehmerInnen und ProzessbegleiterInnen aus unserem Dorf sind als AnsprechpartnerInnen, ModeratorInnen und MentorInnen mit im Team. Wir hoffen, damit einen Beitrag zur Unterstützung und Potentialentfaltung der nächsten Generation leisten zu können.

Stay tuned… Lust, mehr zu erfahren zu den Orientierungswerkstätten, zum Winter-Experiment und zum geplanten Orientierungsjahr? Abonniere einfach unseren Newsletter für Angebote, Termine und Infos!

Kontakt und Infos

E-Mail: orientierungswerkstaetten@schloss-tempelhof.de

orientierungswerkstaetten.de

instagram.com/orientierungswerkstaetten

www.next-pioneers.org

Aktuelles

  • Tempelhof News Herbst 24

    Der Herbst ist eingekehrt und bringt eine Fülle von Farben und Erlebnissen mit sich! Wir laden euch ein, in unserem aktuellen Newsletter die Highlights der vergangenen Monate zu entdecken. Viel Freude beim Stöbern!

  • Regionale Vernetzung

    Gemeinsam die Region gestalten! Zum 3. Mal wurde am 15.10.2024 ein regionales Vernetzungstreffen für Gruppen und Organisationen aus dem Bereich Nachhaltigkeit der Region Hohenlohe-Franken-Tauber durchgeführt. Es gab wieder einiges Neues zu erfahren! Hier der Bericht und die vorgestellten Projekte.

  • Zukunftsjahr startet am 13.September

    Das Zukunftsjahr ist eine gute Alternative zu Freiwilligendiensten, Praktikum, Reisen und Au Pair. Gemeinsam mit bis zu 14 anderen jungen Menschen wirst du in deiner individuellen Lebens- und Berufsorientierung unterstützt und erlangst Wissen in vielen verschiedenen Themen. Hier ist ein kleiner Einblick: Zuja – der Film (Link vimeo).

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