Besuch aus Kolumbien in der Schule

Begegnung zwischen zwei Welten
Dritter Besuch von Kogi in unserer Gemeinschaft


Von Eika Bindgen

Dass in ihre Schule immer mal wieder „fremde“ Erwachsene kommen, um zu hospitieren, gehört für unsere Kinder und Jugendliche zu ihrem Schulalltag dazu. Dieses Mal war die Begegnung für alle aber eine ganz besondere.

Schon eine Woche vorher waren 5 Vertreter der Kogi, eines indigenen Volkes aus Kolumbien, und eine kolumbianische Lehrerin, die seit 30 Jahren in Kogi-Schulen unterrichtet, auf unsere Einladung hin angereist, um einen Schulaustausch mit einer indigenen Schule im kolumbianischen Urwald zu beginnen.

Der Verein Lebendige Zukunft e.V. hatte wieder zu einem Seminar hier am Tempelhof eingeladen, um die Botschaft der Kogi, die noch ganz im Einklang mit der Natur leben, zu verbreiten. Sie wollen damit unsere moderne Welt inspirieren, naturnahe Lösungen für unsere ökologischen Missstände zu finden.

Kogi in der Schule

Das Erstaunen vieler Waldkindergarten-Kinder war groß, als am Montagmorgen Mama Chibulata (ein Mama ist ein weiser Mann), Arregoces (Übersetzer und Schuldirektor), Juan (Lehrer aus dem Pueblo viejo in den kolumbianischen Bergen) und Juan David und Maria Teresa, zwei Kogi-Jugendliche sowie Patricia, die kolumbianische Lehrerin, am Rande des Treff-Platzes auf sie warteten.

Mit großem Respekt und Neugier gleichzeitig nahmen sie die komplett in weiß gekleideten Besucher erst aus einiger Entfernung wahr, bevor der eine oder die andere sich zögernd in Begleitung näherte, die Hand ausstreckte, sie begrüßte und der Sprache aufmerksam lauschte, in der sie angesprochen wurden. Im Laufe des Vormittages löste sich dann die anfängliche Zurückhaltung und es ergaben sich im Wald viele Gelegenheiten, mit den Kogi in Kontakt zu kommen und die Fragen zu stellen, die sie beschäftigten: Wir haben gehört, ihr könnt mit den Bäumen sprechen, wie macht ihr das? Könnt ihr auch mit der Erde sprechen? Und mit den Sternen, geht das auch? Für mich als spanisch sprechende Begleitung gab es da viel zu übersetzen, weil auch die Kogi bereitwillig auf alle Fragen eingingen und sie ausführlich beantworteten. Ein Junge brachte in seiner Hand eine kleine Blindschleiche aus dem Unterholz – woraufhin ein Kogi erschrocken reagierte, denn im Urwald, wie er erklärte, seien fast alle Schlangen giftig und man solle sie besser nie anfassen.

Auch die Primaria war mit ihren Gästen im Wald, denn ihre reguläre Waldwoche, die immer zwischen Himmelfahrt und Pfingsten stattfindet, fiel genau mit dem Besuch der Kogi zusammen, so dass diese sich schon fragten, ob das „normal“ für Europäer sei, im Wald Unterricht abzuhalten! Für unsere Kinder war es eine Attraktion, dass Maria Teresa an diesem Morgen eine große Nadel und ein Naturgarn bei sich hatte, aus dem die älteren Kogi-Mädchen lernen, „mochillas“ herzustellen, sehr haltbare, praktische, traditionelle Umhängetaschen, in denen die Kogi gewohnt sind, alles Mögliche zu transportieren. Für dieses Handwerk zeigten einige unserer Mädchen großes Interesse, und sie versuchten sich an der neu erlernten Näh- und Knüpftechnik, die Maria Teresa ihnen vormachte. Die vielen Fragen, die dieses Mal im Kontakt miteinander entstanden, wurden von einer spanisch sprechenden Mutter übersetzt.

Überhaupt hatten wir den Eindruck, dass sich niemand durch fehlende Sprachkenntnisse davon abhalten ließ, in Beziehung und Kontakt zu gehen. Immer wieder war jemand in der Nähe, der oder die übersetzen konnte, vom Spanischen ins Deutsche und umgekehrt, oder die Schülerinnen versuchten es einfach auf Englisch. Übrigens – wir entdeckten nach und nach immer mehr Lernbegleiter, die sich auf Spanisch verständigen konnten.

Auch der nächste Vormittag in der Sekundaria war übervoll mit Fragen bezüglich des Lebens der Kogi in der Natur. Die Lernbegleiter hatten zuvor anhand einer Reihe von Fotos der letzten Kolumbienreise von Basti Rost (ein Tempelhofer, der als Filmemacher dort unterwegs war) den Schülerinnen einen Eindruck von der Heimat der Kogi vermittelt: der Sierra Nevada de Santa Marta, ein Gebiet, welches von der Karibischen Küste ca. 45 km ins Land reicht, bis zum höchsten Gipfel, der fast 6.000m hoch ist. Das Hoheitsgebiet der Kogi umfasst ca. 17.000 Quadratkilometer, ist also etwa halb so groß wie Baden-Württemberg.

Nicht sehr viel anders gestalteten sich dann die beiden Vormittage in der Tertia, wo wieder eine Vielzahl von Fragen auf die Kogi-Lehrer und -Jugendlichen warteten, dieses Mal aber sehr viel konkreter und vor allem geschlechtsspezifischer ausgerichtet, viele Fragen, die sich um Beziehungen zwischen Mann und Frau und das „Wie des sich-Kennenlernens“ drehten. Einige Tertianerinnen waren mit großer Aufmerksamkeit zuvor bei dem dreitägigen Seminar dabei gewesen (auch eine Premiere, dass Schüler sich für Seminare interessieren!)

Die Kogi Besucher zeigten sich zurückhaltend in ihren Fragen, fügten sich mühelos in das Schulgeschehen, stellten das Unterrichts- und Lernkonzept nicht in Frage. Wir hatten den Eindruck, dass diese Form von Schule nichts Exzeptionelles für sie darstellte. Überhaupt hatten wir den Eindruck, dass sie mit ihrer entspannten Art des Seins, wo niemals ein Gehetzt- oder Getrieben-Sein zu beobachten war, und mit ihrer spürbaren Präsenz im Hier und Jetzt zu einer gelingenden Atmosphäre beitrugen. Sehr interessiert verbrachten sie immer wieder Zeit mit dem Erforschen von Montessori-Material. Die Kogi-Jugendlichen ließen sich nach und nach auch von den Schülerinnen zu gemeinsamen Spielen und Tätigkeiten einladen, bis am letzten Tag zögernd erste Sprech-Versuche in den jeweiligen Fremdsprachen gestartet wurden.

Viel gemeinsame freie Zeit

Da die Kogi-Gruppe während der zwei Wochen bei uns wohnte, saßen wir viele Abende gemeinsam mit ihnen und etlichen Jugendlichen am Lagerfeuer, sangen, aßen und tranken oder genossen einfach nur die stimmungsvolle Atmosphäre mit unseren Gästen. Dass dabei auch mehr und mehr das unbestimmte Gefühl von: „Wir sind eine Menschheitsfamilie“, wie eine Jugendliche es ausdrückte, aufkam, war nicht verwunderlich. Die Nachmittage verbrachten wir meistens mit kleinen Ausflügen in die nähere Umgebung, Crailsheim, Feuchtwangen, auf den Hesselberg, wobei sich unsere Gäste als besondere Liebhaber von Eis und Kuchen herausstellten! Genauso entdeckten sie viele Leckereien unseres Tempelhofer Essensangebotes, probierten Käse-Spätzle, Pizza, Salat und Gemüse, von Tag zu Tag mehr, und blieben dennoch der Kartoffel als ihrem favorisierten Nahrungsmittel treu.

Ein Ausflug nach Dinkelsbühl und zum Freilichtmuseum bei Schwäbisch-Hall, wo es viel altes Handwerkzeug zu entdecken gab, hinterließ bei dem Lehrer Juan den größten Eindruck und die Frage, woran es wohl läge, dass sich zwei Gruppen von Menschen, die sich noch vor 200 Jahren auf einem ähnlichen Stand der Technik befanden, so unterschiedlich entwickelten. Die einen blieben ihren Traditionen verbunden, ja, sie wiederbeleben und pflegen sie bis heute. Und bei den anderen verschwanden die Traditionen und wurden von Technisierung, Mechanisierung und Automatisierung abgelöst. Juan David, der Jugendliche, staunte darüber, wie man es nur geschafft hat, die alten Häuser abzubauen und genauso an einem anderen Ort aufzubauen.

Abschied – fürs erste

Für mich war am beeindruckendsten eigentlich der Moment der großen Abschiedsrunde in der Aula, in der sich mindestens 50 – 60 Schülerinnen von den Kogi verabschieden wollten. Es gab so viele Kommentare und Dankesworte von seitens der Kogi und von unseren Schülerinnen, die gesprochen werden wollten, dass sie noch lange nach Schulschluss auf ihren Plätzen sitzen blieben, um alles zu hören und zu sprechen, wie gut ihnen diese Woche gefallen habe und wie außergewöhnlich und bereichernd diese Begegnung zwischen zwei völlig unterschiedlichen Welten für sie war.

Wir sind gespannt, wie die entstandenen Beziehungsfäden sich weiterspinnen und nebenbei bemerkt: ein riesiges Dankeschön an diejenigen, die durch großzügige Spenden den Kogi diese Reise ermöglicht haben!

Unterstützen auch Sie die Bildungsarbeit der Kogi!

Auch in diesem Jahr will der Verein Schloss Tempelhof wieder 5.000 Euro für die Erstellung des documento madre nach Kolumbien senden. Das documento madre ist ein Projekt der Kogi, bisher mündlich überliefertes Wissen wieder aufzuschreiben und als Teil des Bildungsplans in den Kogi-Schulen zu integrieren. Für diesen Betrag kann eine Person für ein Jahr freigestellt werden, um diese wertvolle Arbeit zu leisten.

Machen Sie mit Ihrer Spende den Betrag komplett! Es fehlen nur noch 750 Euro!

Hier der Link zum Spendenportal.

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