Vom Kind zum Jugendlichen
Seit einigen Jahren haben Mütter und Väter aus der Gemeinschaft die Initiative ergriffen, Kinder aus der Gemeinschaft und unserer Schule in einem Übergangsritual bewusst aus der Kindheit in die Jugend zu begleiten. Es ist die Entscheidung der Kinder, daran teilzuhaben.
Dieses Jahr haben wir nach dem Ende dieser rituellen Zeit die „neuen Jugendlichen“ der Gemeinschaft und ihre Eltern im Dorfplenum in die Mitte genommen und sie gefeiert.
Es war nicht nur berührend, den Wandel der jungen Menschen wahrzunehmen. Auch zu hören, was dieser Schritt für die Mütter und Väter bedeutet, hatte bei einigen von uns Tränen ausgelöst. Manchen Erwachsenen kam wohl im Spiegel dieses Geschehens ihr eigenes Aufwachsen und wie sie diese Phase durchlebt haben, ins Bewusstsein und die leise Frage „Wie wäre mein Leben wohl verlaufen, wenn es dies damals auch für mich gegeben hätte“?
Bericht von Thorsten Wiersberg zur Jungs-Zeit
Von November 2023 bis Juli 2024 fand zum zweiten Mal eine „Jungs-Zeit“ am Tempelhof statt. Unsere Intention bei der Jungs-Zeit lautet: Übergangsrituale in der Natur in die moderne Welt übersetzen. Der Übergang für unsere Jungs war dabei der von der Kindheit in die Jugend. An fünf Wochenenden und bei zusätzlichen Treffen dazwischen nahmen die Jungs, die allesamt Schüler der Tempelhof-Schule und im Alter zwischen 13 und 15 Jahren waren, bewusst Abschied von ihrer Kindheit und traten ebenso bewusst in ihre Jugend ein.
Dies fand zum größten Teil in der Natur statt: In der Schwitzhütte am Tempelhof, auf der Altmühl mit dem Kanu, in den Höhlen der Fränkischen Schweiz und in den Wäldern der oberen Donau. Und schließlich stellten sich unsere Jungs der Herausforderung, ihren „Walkaway“ zu absolvieren. Im Rahmen dieses Übergangsrituals, welches speziell für Jugendliche entwickelt wurde und welches sich inhaltlich stark an die „Visionssuche“ anlehnt, galt es für die Teilnehmer, 24 Stunden alleine und fastend in der Natur zu verbringen. Auf diese Herausforderung, auf die Gefahren und Risiken einer solchen Grenzerfahrung wurden sie von uns Begleitern vorbereitet. Es wurden Fragen behandelt wie zum Beispiel: „Wie verhält man sich bei Tierbegegnungen? Wie geht man mit Angst und Hunger um? Wie richtet man sich ein sicheres Lager im Wald ein?“
Im Rahmen der Vorbereitungen erarbeiteten sich die Jungs einen sogenannten „Bestätigungs-Satz“, der die Essenz ihres Übergangsprozesses beinhaltete. Diesen teilten sie nach ihrer Solo-Zeit mit ihren Eltern, die sie bei der Rückkehr vom Walkaway feierlich in Empfang nahmen und bezeugten.
Als besonders wertvoll haben wir Begleiter empfunden, dass wir fast alle Jungs aus der Gruppe bereits seit einigen Jahren kennen und somit bereits ein gewisses Verständnis für die Themen der Jungs hatten. Außerdem freuen wir uns besonders darüber, sie auch weiterhin begleiten zu dürfen, da wir uns an unserem Lebensort Tempelhof und an der Tempelhof Schule begegnen werden.
Die Begleiter der Jungs-Zeit waren: Barnaby, Jonas, Max, Thorsten und Friedi.
Das Erleben von Lea, Mutter der 13 jährigen Helene.
Über Loslassen und Begleiten, Abschiednehmen und Willkommenheißen
Als ich von dem Begleitteam der Mädchen-Initiationszeit gefragt wurde, ob wir mit unserer älteren Tochter mit dabei wären, wehrte ich zunächst ab. Initiationszeit? Rituelle Begleitung ins Erwachsenwerden? Was passiert da? Muss es so archaisch sein? Ist das nicht eher etwas Privates?
Ich war mir relativ sicher, dass meine Tochter darauf auch keine Lust hatte: Mehrere gemeinsame Ausflüge mit ihrer Mädchengruppe, in der Natur, Kochen auf dem Feuer, ohne Smartphone, als Höhepunkt ein 24-stündiger Walkaway – eine Art Eigenzeit, alleine – fastend – im Wald, nur mit sich, dem Tarp und einer Wasserflasche? Großer Empfang von Familie, Freunden und Gemeinschaft im Anschluss?
Nie und nimmer, dachte ich.
Pustekuchen! Nach dem ersten gemeinsamen Treffen wollte meine Tochter dabei sein.
Mein Mann war schon lange dafür und erhoffte sich Unterstützung für eine Phase, die ihm immer rätselhafter erschien.
Also startete ich meine Übung, mich darauf einzulassen, wenn auch zunächst nicht ohne Widerstand. Heute – nach der Initiationszeit meiner Tochter und dem festlichen Empfang der jungen Frauen im Kreis der Familie, der Freunde und der Gemeinschaft habe ich sehr viel Dankbarkeit in mir. Ich bekam die Möglichkeit, den Übergang meines Kindes von der Kindheit in die Jugend und ins Erwachsenwerden bewusst zu begleiten.
Details von Erlebtem in ihrer Natur- und Eigenzeit erfuhr ich wenig. Dass sie mir nicht mehr alles (gleich) erzählt, gehört wohl zu der neuen Lebensphase dazu und ist gewöhnungsbedürftig für mich. Und doch konnte ich aus den reintröpfelnden Informationen lesen, dass sie große Fragen bewegt haben und sich selbst und ihrer inneren Kraft begegnet sein muss. Das gemeinsame Willkommenheißen und Feiern im Anschluss -so gar nicht privat und recht öffentlich, getragen und gewürdigt von Freunden, Familie, Gemeinschaft – erfuhr ich als eine Art Anerkennung und Bezeugung des Übergangs meiner Tochter.
Ich war auch ein Teil der Initiationszeit und kam in Elterntreffen und Reflektionsrunden meiner Trauer über meinen eigenen Übergang damals auf die Spur, der wenig Beachtung bis Ablehnung erfuhr. Ich bekam eine Ahnung davon, wie Loslassen gehen kann, ohne die Verbindung zu verlieren, davon, wie schwierig das auch für meine Eltern gewesen sein muss.
Die Kindheit meiner Tochter zu verabschieden, ist weiterhin nicht einfach für mich und gleichzeitig meine ich, innerlich an einem anderen Ort zu stehen als vor ihrer Initiationszeit.
Ich fiebere mit auf ihrem Weg zu neuen Abenteuern in einer Welt, die so unendlich groß für sie ist. Ich hoffe, dass sie das Leben weiterhin behütet, denn ich werde immer weniger nah dran sein, um es selbst zu tun. Ich übe mich darin, der Heimathafen zu sein, der 24/7 angelaufen werden kann, im Falle von Schiffbruch oder kurz-, mittel oder langfristigem Andockwunsch.
Wir gehen Hand in Hand über diese Schwelle und doch jede für sich.