Seit wir im Frühjahr 2011 die alten Gemäuer des Tempelhofes zu unserem Zuhause gemacht haben, hat sich eingebürgert, dass ein Teil der BewohnerInnen immer wieder mal die Wohnung und die Wohnkonstellation wechseln. Immer geht es darum, den knappen Wohnraum so gut wie möglich zu nutzen und dabei veränderten persönlichen und sozialen Bedürfnissen gerecht zu werden oder neuen Menschen, die bei uns einziehen wollen, Platz zu machen. Einmal, in einer Intensivzeit, in der wir uns die Frage gestellt hatten, wie wir Reichtum und Fülle in der Gemeinschaft erleben, sagte jemand (mit lebenslang vielen Umzugserfahrungen): „Für mich ist es Reichtum, dass ich hier schon 6mal umgezogen bin und dennoch am selben Platz lebe.“
Als vor 5 Jahren die Schule ihren Neubau bezog und dadurch Wohnraum freimachte, wurde schon einmal eine größere interne Umzugswelle ausgelöst. In diesem Jahr jedoch haben wir Großes vor bzw. sind schon mitten drin, im größten sog. Wohnraumkarussell seit unseren Anfängen. Mit dem neu gebauten Wohnturm (s. Bericht von Maria Keil) und dem Umzug der Seminargäste in die neuen Gästezimmer im Seminarhaus steht uns so viel Wohnraum zur Verfügung wie noch nie. Das ist schön – und herausfordernd und auch verunsichernd.
Wer wohnt künftig wo und mit wem?
Wie verteilen wir den Wohnraum so, dass bisher zurückgestellte Wohnwünsche von Tempelhöfern erfüllt werden und gleichzeitig möglichst sinnvolle Wohnraumangebote für die Menschen entstehen, die bei uns ankommen möchten? Und für Projektmitarbeitende und die jungen Leute vom Zukunftsjahr?
Es gab den ganz radikalen Vorschlag, dass alle unsere Wohnungen neu zur Disposition gestellt werden – aber dafür hat sich fast niemand erwärmt. Stefan, Mitglied in der für die anstehende Rochade eigens gebildeten „Wohnraumkarussell-Gruppe“, hatte ermittelt, dass mit dem Umzug von 48 Menschen eine optimale Belegungssituation entstehen könnte. Ihr könnt euch denken, dass es lebhafte Gespräche ausgelöst hatte, als wir z.B. hörten: Wenn X und Y dorthin umziehen und Z wie gewünscht künftig dort oder dort alleine wohnen könnte, was ginge, wenn Q und P die durch den Umzug in den Wohnturm frei werdende Paarwohnung beziehen würden, dann kann in die bisherige Wohnung von XYZ künftig eine vierköpfige Familie, die gerne neu in die Gemeinschaft kommen möchte…..uiuiui
Praktisch zwingen wir jedoch niemandem eine Veränderung auf. Wir vertrauen dem sozialen Prozess. Und das dauert.
Wohnbedürfnisse
Tempelhöfer sind an und für sich recht genügsam, was den individuellen Wohnraum betrifft. Nun, da es nicht mehr wie in all den Jahren zuvor nur darum geht, „Hauptsache, irgendwo wohnen“, erlauben wir uns mehr als früher die Fragen: Wohne ich so, wie es mir gut tut? Finde ich MitbewohnerInnen, die wirklich mich persönlich meinen und nicht nur wegen der schönen Lage oder weil sonst kein passender Wohnraum da ist, zu mir in die Wohnung ziehen möchten? Es werden Beheimatungsbedürfnisse bewusst, die mehr brauchen als ein bezahlbares Dach über dem Kopf. Hoffnung blüht auf und ebenso Verunsicherung, Angst. Mit wem und wo werde ich denn künftig wohnen? Nun gäbe es die Möglichkeit, nochmals ganz neu für seine Wohnbedürfnisse einzutreten. Die Schwelle der Veränderung – Umzug, Renovierungsarbeiten und sich auf neue Nachbarschaften einlassen – ist manchen jedoch zu hoch. Da ist die Hoffnung, dass ein ungeliebter Mitbewohner auszieht – der aber zeigt Beharrungskräfte. Insgesamt stellen wir fest, dass die Offenheit, sich selber neu zu orientieren, damit für andere gute Lösungen entstehen, nachgelassen hat. Vielleicht, weil unsere Bereitschaft, persönliche Bedürfnisse gegenüber Gemeinschaftsbedürfnissen zurückzustellen, in den letzten Jahren etwas überstrapaziert wurde. Immer wieder das Ganze höher anzusetzen als die eigenen Interessen, führt mit der Zeit auch dazu, dass inneren Ressourcen sich aufbrauchen. Auch haben wir mit den Jahren verstanden, dass ein intensiver Wir-Raum Kraft kostet und die Einzelnen gute regenerative Rückzugsorte brauchen.
Großer Gemeinschaftsorganismus im lebendigen Wachstum
Unser Gemeinschaftsfeld ist in einem existenziellen Lebensbereich in Unruhe. Das aktuelle Wohnraumkarussell ist kein schneller sozialer Prozess, da jede Veränderung auf Freiwilligkeit beruht.
Es dauert noch eine Zeit, bis wir uns innerlich wieder soweit geordnet haben, dass wir offen sind für eine Erweiterung der Gemeinschaft um neue Menschen. Neuer Wohnraum, neue Wohnkonstellationen und noch neue Menschen in der Gemeinschaft – diese Summe ist für manche Inspiration, für andere eher schwer verdaulich. Solche Erschütterungen unserer gewohnten Lebensumstände sind aber auch ein Übungsfeld, als Gemeinschaftsorganismus lebendig zu bleiben.