Krieg ist auch keine Lösung

Gedanken zum Umgang mit Konflikten und Gewalt in Gemeinschaft.

Von Ben Hadamovsky

Bei allem Verständnis für die kurzfristige Logik von Waffenlieferungen an die Ukraine – oder bald auch Israel – stellt sich mir eine grundlegende Frage: Denken wir ernsthaft, wir könnten damit Frieden erzwingen? Ja, ich höre das Argument, man könne den Putin doch nicht einfach so die Ukraine angreifen lassen, oder eben jetzt ganz aktuell die Hamas Israel. Dagegen müssen wir mit Waffengewalt vorgehen, Stärke zeigen, usw… Das scheint zunächst logisch. Zumindest aus dem Moment heraus und wenn wir die vielen Interessen beiseite lassen, die einen großem Nutzen aus dem Entstehen und Andauern solcher Konflikte ziehen.
Wie aber sieht das Bild aus, wenn wir  den Blick weiten? Wenn wir nicht nur das letzte Jahr anschauen, sondern die letzten Jahre seit z.B. 2014? Oder gar seit 1945? Oder ganz vermessen seit Christi Geburt?
Wurde in diesem Zeitraum jemals ein Frieden durch Waffengewalt erreicht? Oder war es nicht eher so, dass mit jedem gewaltvollen Sieg automatisch im Lager der Besiegten der Keim für den nächsten Konflikt gelegt wurde?
Mir erscheint es, als wären unsere vielfältigen heutigen Konflikte bittere Früchte einer endlosen Kette von Versuchen, mit einer untauglichen Strategie – Frieden durch Gewalt – unsere Meinungsverschiedenheiten zu klären.

Aber was tun? Eine Erfahrung kenne ich aus meinem eigenen Leben schon aus Kindergartentagen sehr gut: Wenn mir ein Stärkerer physisch seinen Willen aufzwingt, werde ich solange nach Wegen suchen, bis ich meine Autonomie wiedererlangt habe. Wenn diese Suche dann darin mündet, dass ich mich soweit ertüchtigt habe, dass wir ebenbürtig sind, haben wir entweder eine endlose Auseinandersetzung oder ein Gleichgewicht des Schreckens. Sollte ich sogar der Stärkere werden, kann nun ich meinen Willen durchsetzen, ohne auf die Bedürfnisse des Anderen Rücksicht nehmen zu müssen. Oder ihn halt gleich Vernichten und Auslöschen. Den Wunsch dazu, mein inneres Raubtier, kenne ich als kindliche Emotion nur zu gut.
Wir lernen dann passend zu dieser Erfahrung noch in der Schule, dass dies durchaus normal sei, das Leben ein Kampf ums Dasein ist und der Krieg als Vater aller Dinge uns viele unserer Kulturtechniken beschert habe, usw.. Aber spätestens mit Beginn des Atomzeitalters mündet der Traum von der Auslöschung des Gegners im Inferno für alle und der Krieg droht zum Ende aller Dinge bzw. unserer Kultur  zu werden.

Seit Rutger Bregmann und seinem Buch: „Im Grunde gut“ wissen wir spätestens, dass die uns so oft erzählte Geschichte vom Menschen als Raubtier, welches gezähmt werden muss – und sei es eben mit Waffengewalt – letztlich ein Irrtum ist. Wir sind zutiefst kooperative Wesen und der Ausgleich von Interessen und Zusammenarbeit – nicht Krieg – ist unsere wahre Natur. Aber vieles, was wir schon als kleine Kinder gelernt haben wie die Welt funktioniert, spricht scheinbar dagegen. Konflikt durch Gewalt zu lösen, ist uns seit Jahrhunderten als Strategie tief ins kollektive Bewusstsein eingeschrieben. Endlose Geschichten ranken sich um den Krieg und ein kurzer Blick auf die Produkte der Unterhaltungsindustrie kann nicht gerade optimistisch stimmen: Kampf und Konkurrenz sind dort die dominanten Lösungs-Strategien. Frieden ist einfach nicht cool. So beginnt schon im Kindergarten der endlose Kreislauf aus Konflikt, Aufrüstung und erneutem Konflikt.

Frieden erreichen wir so wohl schwerlich. Frieden wäre der Zustand, wenn beide Konfliktparteien einen echten Ausgleich ihrer gegenläufigen Interessen und Bedürfnisse erreichen könnten. Dies wurde nie dauerhaft mit Gewalt erreicht. Keine Faust, kein Schwert, kein Panzer – und auch kein Kampfjet – und schon gar keine Atomrakete wird jemals für diesen Ausgleich sorgen. Das kann allein das verständnisvolle Gespräch.

Wohl dem, in dessen eskalierende Kindergarten-Streitspirale eine besonnene Erzieherin eingriff, die Streitenden trennte und in Ruhe nach ihren jeweiligen verletzten Bedürfnissen befragte. Fatal, wenn dann dieser Erwachsene Partei ergriff und sich auf eine Seite stellte. Genau das machen wir mit unseren Waffenlieferungen: Partei ergreifen, statt die Streitenden zu trennen und erstmal nach den jeweiligen Bedürfnissen zu fragen.

Als Gemeinschaft üben wir uns  nun schon seit 13 Jahren darin, die unter Menschen unvermeidlichen Bedürfniskonflikte im Gespräch zu lösen. Nicht dass wir immer erfolgreich damit wären. Auch wir scheitern immer wieder daran, wirklich alle Bedürfnisse in einen Ausgleich zu bringen. Es scheint zunächst viel einfacher, die Dinge auf die alte Art zu lösen – hierarchisch, machtvoll, durch Mehrheiten. Das Neue ist sperrig, umständlich und unsicher. Oft mag es auch daran liegen, dass wir uns nicht die dafür notwendige Zeit nehmen. Zu drängend sind die Anforderungen des Alltags. Zu eng der Terminplan. Zu knapp das Budget. Zu sehr sind auch wir noch verstrickt in der Logik des bestehenden Systems, wo Erfolg immer wirtschaftlichen Erfolg – und Durchsetzungsstärke der eigenen Ideen meint und sich noch kaum jemand damit Bewunderung verdienen kann, dass es ihm gelungen ist seine eigenen Vorstellungen loszulassen und wirklich alle mit ins Boot zu holen.

Mit schöner Regelmäßigkeit fallen uns diese ungelösten Themen dann wieder auf die Füße. Glücklicherweise haben wir Gewalt als Konfliktlösungsmethode in unserer Gemeinschaft ausgeschlossen. So sind wir gezwungen, uns dem mühsamen Prozess des Aushandelns von Kompromissen durch Gespräch zu stellen, oder uns schlicht aus dem Weg zu gehen und vor der scheinbaren Unvereinbarkeit zu kapitulieren.

Durch diese Kapitulation entstehen Felder der Sprachlosigkeit. Sie wirken als Störungen im Gemeinschaftsfeld und es ist nicht klar, wie viele solcher Orte der Nicht-Kommunikation eine Gemeinschaft verkraften kann, ohne längerfristig Schaden zu nehmen.

Kleinere Gruppen, die sich auch bei Konflikten weiter im Gespräch üben, sind ein gutes Feld für aktive Friedensarbeit. Die Aufgabe ist es, sich radikal zu vergegenwärtigen, das jeder Feind und Gegner letztlich auch Teil der Menschheitsfamilie ist.

Waffenlieferungen an eine Konfliktpartei sind vor diesem Hintergrund jedenfalls kein konstruktiver Beitrag, sondern gleichen der Kindergärtnerin, die einseitig Partei ergreift. Selbst wenn es damit gelänge, die russischen Truppen vollständig aus der Ukraine zu vertreiben (oder eben die Hamas aus Gaza), bliebe das eigentliche Problem ungelöst: Wie schaffen wir einen Ausgleich, der die Bedürfnisse aller Beteiligten berücksichtigt?

Unser tiefes Mitgefühl ist bei allen Menschen, die unter gewaltvollen Auseinandersetzungen leiden müssen. Egal, auf welcher Seite sie stehen.

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