Kolumne

In der „Gemeinschaftsszene“ erlebe ich immer wieder einen starken Hang zum Versuch, möglichst alle Bedürfnisse, Menschen und Ideen umfassend zu integrieren. In meiner Wahrnehmung verbirgt sich dahinter häufig der Wunsch, „gut“ zu sein, selbst dazuzugehören bzw. nicht aus dem gemeinsamen System „herauszufallen“. Versteckt sich da auch die Angst, im eigenen Schatten erkannt und verurteilt zu werden? Und vielleicht auch der Gedanke, in der spirituellen Weiterentwicklung von Gemeinschaftsmitgliedern, das immer stärker werdende innere Gefühl der Zusammengehörigkeit für sich in der Tat umzusetzen, indem alles und jeder doch daran teilhaben soll.

Hier fehlt mir der alte mystische Gegenpol – die „Schwelle“. Der bewusst gesetzte Haltepunkt, der nicht der Ausgrenzung dient, sondern der Anregung, ja der Herausforderung. Schwellen, die Impulse setzen, um sich auf- und auszurichten und in achtsamer und klarer Weise die eigenen Möglichkeiten zu aktivieren. So ähnlich wie der Leichtathlet, der die inneren Körperkräfte zentriert, sich fokussiert und über die Schwelle schwingt, um den Zugang zur eigenen, geistigen Welt intensiver zu erlangen.

Solche Haltelinien helfen nicht nur, geistige Kräfte zu intensivieren. Sie verbinden Menschen und ihre Seelenkräfte in der gemeinsamen Erfahrung, Schwellen überschritten zu haben. Es entsteht sozusagen ein innerer, verdichteter geistiger Raum, der anderen Menschen ein Vorbild sein kann, um sich selbst aufzuschwingen. Dabei kann ein freudig reifer Prozess des teilhaben und mitwirken Wollens entstehen mit all den inneren Kräften.

In diesem Sinne wünsche ich unserer und anderen Gemeinschaften den Mut, sich zu verdichten. Sie mögen die eigenen Herzenskräfte nicht beliebig in die Welt strömen lassen, sondern eher mit einladenden Gesten andere anregen, teilzuhaben am gemeinsamen Innenraum. Dadurch angeregt, können sich interessierte Menschen zuerst entscheiden, dann innerlich ausrichten und schließlich über die Schwelle treten.

Eine Möglichkeit von falsch verstandener Integration ist Beliebigkeit, die in allen spirituellen Traditionen als eine der großen Gefahren von geistiger Entwicklung beschrieben wird. Wenn wir unsere Gemeinschaft, unsere gemeinschaftliche Entwicklung und unseren Einsatz für eine anregende Form – auch auf der materiellen Ebene, in der unsere geistige Entwicklung stattfindet – nicht wertschätzen und keinen Wert geben, werden wir uns auch nicht aufrichten. Entsprechend werden wir nicht beitragen, Andere dazu anregen zu können.

Als Mitglied einer Gemeinschaft wünsche ich uns Bewusstsein über die inneren und äußeren Räume, die wir bereits gemeinsam gestaltet haben und durch die wir gegangen sind. Bewusstsein darüber, dass damit bewusst Schwellen gesetzt werden können.

Wie könnten diese Schwellen nun aussehen? Was meine ich damit?

In unserer grund-stiftung im Tempelhofer Schloss haben wir beschlossen, nicht nur die Räume aufzumachen für alle Kreise, Besprechungen oder Menschen, die möglicherweise gerade keinen Platz finden oder es hier einfach schön finden. In der Intention dieser Treffen wünschen wir uns Bezug zu Geist, Herz und der Welt und auch die Fähigkeit, dies, wie auch immer es geschieht, zu artikulieren. Wir möchten Bewusstsein und Klarheit über den eigenen Ausdruck und den eigenen Weg.

Wir finden uns dabei nicht „besser“, wollen nicht missionieren oder eifersüchtig über unsere Räume wachen. Nein. Die Intention der anwesenden Menschen beeinflusst auch den Energiekörper der Etage und die darin tätigen Menschen – und umgekehrt. So erlebe ich tatsächlich bei fast allen hier arbeitenden Menschen oder Besuchern eine aufrechtere Haltung (im doppelten Wortsinne) mit ein wenig mehr Achtsamkeit im Umgang untereinander und mit den Dingen. Und eine ausgerichtete Freude, hier sein zu können.

Füreinander sorgen in Gemeinschaft

Dieses Beispiel hilft zu verdeutlichen, um was es gehen könnte: Wir wollen in Gemeinschaft „füreinander sorgen“ und beschließen, alle monatlich Gelder in einen Topf zu geben – wo setzen wir dann diese Schwelle, zum Beispiel als Anreiz für weitere persönliche Entwicklung? Anders herum ausgedrückt: Was könnte die umgekehrt gebende, verbindliche Bewegung der vielleicht einmal Empfangenden sein?

Mich interessiert, wie wir unsere interessierten Nachbarn anregen zur Ausrichtung und Aufrichtung. Wir haben viele Menschen, die sich immer mehr in der Umgebung ansiedeln, um einer Gemeinschaft nahe zu sein. Und wir laden sie ein, in unser geistig energetisches Feld einzutreten und an den vielen mit Liebe aufgebauten materiellen Formen wie Schule, Seminarhaus, Kantine, Landwirtschaft teilzuhaben. Was ist, wenn wir dies nicht tun? Unterstützen wir dann nicht eher die bequemen und konsumierenden Kräfte, die in jedem von uns angelegt sind? Können wir ein Feld erzeugen, in dem wir unsere gemeinsam gestalteten inneren und äußeren Räume ernst nehmen und wertschätzen? Ein Feld, in und an dem andere teilhaben wollen, weil sie spüren können, dass sich da etwas aus sich heraus aufrichtet.

Hier sehe ich unsere innere soziale Entwicklung an einem zentralen Punkt. Ich freue mich darüber, beizutragen an einer Gemeinschaft und an einem gemeinsamen inneren Übungsraum, wo mir viele Schwellen gesetzt und viele aufrichtige „Übertritte“ beschert werden. Ich nehme auch mit Freude wahr, dass ich Gemeinschaft nicht machen kann und auch nicht muss. Sie entsteht in einer offenen, menschlichen Haltung untereinander, durch Mut, nicht davonzulaufen und sich auszusetzen. Das gemeinsame Überschreiten solcher persönlicher Schwellen erzeugt ein Bewusstseinsfeld, das langsam und wie von selbst, ganz undramatisch und unspektakulär, die einzelnen Menschen aufrichtet, heilt, lehrt und verbindet.

Wolfgang

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